§1: Des Arztes höchster und einziger Beruf ist es, kranke Menschen gesund zu machen, was man Heilen nennt – so beginnt Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, sein Hauptwerk, das Organon 6. Auflage, Pflichtlektüre für jeden seiner Schüler.
Er wandte sich gegen die drastischen Methoden seiner Zeit wie Aderlässe, Purgatorien etc., die nichts anderes als eine Schwächung des Kranken bewirkten und damit auch eine Schwächung, also Minderung der Krankheit vorgaukelten. Die heutigen Analgetika, Antibiotika, Immunsuppressiva, Chemotherapeutika leisten nichts anderes, wenngleich dies manchmal ohne Zweifel erforderlich ist, zumindest um eine akute Not zu lindern und Zeit für bessere Lösungen zu gewinnen.
Echte Heilung sieht aber anders aus und erfordert es, die gestörte Lebenskraft – ein wesentliches Paradigma der Homöopathie – zu korrigieren, Abwehrlage, Kräftehaushalt, Vegetativum und Psyche ins Lot zu bringen. Dafür steht nur die Komplementärmedizin, und ein niedergelassener Hausarzt, der dies nicht als notwendig erkennt und nur fortsetzt, was er in der Klinik gelernt hat – dort wohl unvermeidlich –, wird seiner Aufgabe nicht gerecht.
Mein Weg führte mich, nachdem ich alles Mögliche erprobt und vieles als nützlich erfahren hatte, letztlich zur klassischen Homöopathie. Sie auszuüben ist eine hohe Kunst und erfordert nicht nur ein weiteres Studium ihrer Arzneien und ihrer Werkzeuge. Um wirkliche Hilfe zu geben, ist es auch unumgänglich, sein Gegenüber gründlich verstehen zu lernen, seine Herkunft, seine Genetik, seine Biografie, sein Wesen, Konstitution, Krankheitsdisposition und Lebensumstände.
Dies geht bei chronischer Krankheit nur über eine sorgfältige Anamnese und eine gewisse Zeit der Betreuung, die für das tiefere Verständnis seines „Bauplanes“ und seiner Reaktionsweise erforderlich ist – aus ganzheitlicher Sicht. Wenn diese Arbeit gut gemacht wird, baut man nach und nach seine pathologischen Anlagen ab und mindert man Schritt für Schritt seine gesundheitlichen Störungen – mit dem Ergebnis einer nachhaltigen Genesung von Körper und Seele (was mit der reinen Unterdrückung der Krankheitserscheinungen nicht zu erreichen wäre). So darf sich der Arzt vor allem als Begleiter seines Patienten verstehen auf einem Weg der Reifung und Befreiung; die Homöopathie reicht ihm dafür die Mittel.
Aber ohne Empathie geht dies alles nicht, und dies ist vielleicht das wichtigste Merkmal eines „guten Arztes“.
Veröffentlicht in der Zeitschrift für Komplementärmedizin 1/2016
Mit freundlicher Genehmigung der Haug-Verlags