Jüngst habe ich darüber nachgedacht, warum man in früheren Zeiten annehmen konnte, die Erde sei nur eine Scheibe. Jeder, der an einem Meeresstrand steht, kann doch sehen, dass der Wasserspiegel gekrümmt ist. Warum wollte man daraus nicht darauf schließen, dass die Erde eine Kugel sei? Was aber wusste man denn noch vor 600 Jahren von dieser Erde. Der Horizont der Europäer endete entweder am Meer oder am Beginn unendlicher und unwirtlicher Weiten im Osten. So lag die Ansicht doch nicht fern, dass die Welt einem Teller gleiche, und wenn man sich diesen umgedreht vorstellte, dann kam man auch nicht in einen Konflikt mit der Krümmung.
Erst als Christoph Kolumbus nach Westen aufbrach und Marco Polo nach Osten, erweiterte sich der Horizont dermaßen, dass man das Globus-Modell nicht mehr leugnen konnte. Zuvor mögen einige Weise schon die Vorstellung der Welt als eine Kugel postuliert haben, sie wurden verspottet, geächtet oder mit dem Tode bedroht, wenn sie von dieser Idee nicht abweichen wollten. Die Wissenschaft, mit Sicherheit, wollte von dieser Erkenntnis nichts wissen, solange man keinen Beweis liefern konnte (und dann wird sie sich erstmal noch gesträubt haben, dies anzunehmen und ihren Irrtum einzuräumen).
Es ist eine Frage des Instrumentariums, ob man eine Tatsache anerkennt, und es ist auch durchaus richtig, rein Spekulatives skeptisch zu betrachten, solange man nichts beweisen kann. Aber es ist genauso verkehrt, die Existenz gewisser Dinge zu negieren, nur weil man keine wissenschaftliche Erklärung für solche Phänomene hat, Phänomene sage ich, da man leider auch lediglich Beobachtetem die Anerkennung verweigert, nur weil man – noch – über keine Messtechnik für deren Nachweis verfügt.
Ich glaube sogar, dass die Physik bis heute, nach einem enorm tiefen Eindringen in die Welt der Elementarteilchen und die Tiefen des Kosmos, keine handfeste Erklärung für die Schwerkraft hat. Warum zerschellt eine Tasse auf dem Küchenboden, wenn wir sie fallen lassen. Mit welcher Kraft kann die Sonne eine Masse wie die der Erde, oder noch weiter entfernter Planeten, in ihre Umlaufbahn zwingen. Was ist das Substrat der Akupunktur-Meridiane, die ohne Zweifel vorhanden sind. Und wie funktioniert Hellsichtigkeit oder Telepathie, die ebenso ohne Zweifel manchen Menschen zu eigen sind.
Werner Bartens, Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit vielen Jahren profiliert als leidenschaftlicher Kämpfer gegen die Umtriebe der Homöopathie, offenbarte jüngst seine tiefe Verzweiflung darüber, dass der sogenannte Münsteraner Kreis, eine Vereinigung, welche sich zum Ziel gesetzt hat, alternative Heilmethoden als Scharlatanerie zu entlarven, seine Arbeit eingestellt hat. Der Grund dafür war eine Resignation gegenüber der Erkenntnis, dass es nicht gelingen wollte, Bürger und Politiker von deren Toleranz gegenüber komplementär-medizinischen Heilverfahren, deren Wirkeffekt nicht wissenschaftlich belegt werden könne, abzubringen.
Man kann nur diesen Eiferern zu mehr Bescheidenheit raten und anzuerkennen empfehlen, dass zahllose Menschen Vertrauen in solche Dinge haben, weil sie gute Erfahrungen damit gemacht oder eine positive Erwartung haben. Sie allesamt als Idioten zu betrachten, ist einfach arrogant. Wir wissen ja selbst nicht, auf welche Weise unsere Kügelchen wirken, wir vermuten, dass sie eine Art Information übertragen, die in Resonanz – Simile-Prinzip! – mit der vorherrschenden Pathologie des Patienten tritt. Aber wie soll das gehen, welches physikalische Wirkprinzip liegt hierbei vor?
Müßig ist es, darüber zu spekulieren, aber jeder Homöopath hat ein Initiationserlebnis gehabt, welches in ihm die Gewissheit verankert hat, dass die Methode wirkt. Danach ist die Frage nach dem „Wie“ nebensächlich. Aber selbst wenn wir eine Fülle von Erfolgen belegen können, die Wissenschaft wird unsere Arbeit mangels Messbarkeit nicht anerkennen. Ein Bremer Kollege hat meinen Hinweis auf schöne Ergebnisse herablassend mit dem Ausdruck „Einzelfall-Romantik“ abgetan.
Allerdings liefern wir selbst unseren Kritikern gute Munition. Wir müssen zugeben, dass trotz blendender Erfolge in Akutfällen unsere Fähigkeiten zur Lösung chronischer Leiden noch verbessert werden müssen, dass wir auf diesem Gebiet oftmals von viel Schwärmerei leben anstelle von handfesten Ergebnissen – die diversen neuen Schulen sind stark von esoterischem Eifer angehaucht, verlieren sich in feinen Empfindungen oder überstrapazieren die Signaturenlehre. Mit Arzneien wie dem Nordamerikanischen Weißkopfseeadler oder der Berliner Mauer schaffen wir keine Heilung, bedienen aber die Feinde der Methode auf das Beste.
Jedenfalls habe ich Herrn Bartens schon vor Jahren angeboten, sich einmal einen Tag in meine Praxis zu setzen und unsere Arbeit zu verfolgen; er würde sehen, was für eine Mühe das ist, was wir leisten und wo unsere Schwierigkeiten liegen. Aber er könnte die Wirkung nicht mehr leugnen, wenn wir ihm zeigen dürften, dass unsere Arbeit ein solides Handwerk ohne missionarischen Eifer darstellt.
Es kam keine Antwort, es wäre ja zu schmerzhaft, wenn das eigene Weltbild Risse bekäme.
Eine frohe Weihnachtszeit!
Bamberg, im Dezember 2023