Im folgenden Artikel hebt der erfahrene Autor die Bedeutung der Kalium-Verbindungen bei chronischen Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparates hervor. Dabei stellt er eine Verbindung zwischen den zentralen Kali-Themen wie Pflichtbewusstsein, Familie, tägliche Arbeit, Verantwortung und Regelkonformität mit den Ursachen chronischer orthopädischer Probleme und dem karzinogenen Miasma her.
Im Laufe meiner langjährigen Beschäftigung mit der Homöopathie habe ich eine eigene Arbeitsweise entwickelt, mit der ich bereits viele Erfolge erzielen konnte: die fast ausschließliche Anwendung kompletter Salze bei der Therapie chronischer Leiden – ergänzt durch entsprechende Nosoden, Akutmittel und passende Arzneien für Kausalitäten oder für spezifische, einseitige Krankheitszustände.
Mit der Bevorzugung der Salze gegenüber den üblichen Polychresten stehe ich nicht alleine. Wilhelm Schüßler hat die wichtigsten von ihnen bereits Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt, James Tyler Kent hat sie ebenfalls sehr geschätzt und zu Beginn des 20. Jahrhunderts um einige weitere ergänzt. In der Gegenwart haben auch Jan Scholten, Rajan Sankaran und Wolfgang Springer an den Salzen Gefallen gefunden. Einen möglichen Grund für die große Bedeutung dieser Arzneien sehe ich darin, dass ihre beiden Anteile, Kation und Anion, jeweils unterschiedliche Miasmen repräsentieren, deren Zusammenwirken – „Verkomplizieren“ – die wahre Ursache einer tieferen Pathologie sein mag.
Des Weiteren ist gerade die Berücksichtigung der Miasmatik ein wichtiges Element meiner Arbeit und trägt entscheidend zur Auswahl der Arzneien bei. Im Zuge dessen bediene ich mich eines reduzierten Miasmensystems mit klaren Zuordnungen, der Miasmenleiter (siehe Kasten "Die Miasmenleiter"). Wichtig dabei ist, und das hat sich immer wieder bewährt, die Nähe der Natrium-Salze zur Sykose und die Assoziation der Kalium-Salze mit dem Miasma der Karzinogenie. Beides wurde zwar schon von anderer Seite angedacht, doch ich habe mir erlaubt, dies zur festen Regel zu erheben. Natrium sulphuricum gilt ja bekanntlich als bedeutendes Antisykoticum, aber Calvin B. Knerr, der Schwiegersohn Constantin Herings, hat auch Natrium phosphoricum diesem Miasma zugeordnet. Boericke [1] schrieb Kalium phosphoricum dem Krebs-Miasma zu, und Vermeulen [3] tat dies mit Kalium arsenicosum.
Die Nieren sind wichtige Zielorgane der Sykose, sie sind aber auch die entscheidenden Regulatoren des Kochsalz-Stoffwechsels; darin mag man vielleicht annäherungsweise eine Begründung für diese Verknüpfung sehen. Ferner stehen die Nieren im chinesischen Meridiansystem für den dorsalen Umlauf, für das Rückwärtsgewandte, genauso wie wir die Natrium-Persönlichkeit verstehen. In Analogie dazu steht die biblische Geschichte der Frau Lots, die zur Salzsäule erstarrte, weil sie sich auf der Flucht aus Gomorrha noch einmal umdrehte, obwohl die Engel dies eindeutig verboten hatten. Sie trauerte um das, was sie zurücklassen musste. Meiner Beobachtung nach tragen mindestens 90 Prozent unserer Patienten das Miasma der Sykose in sich und bräuchten daher ein Natrium-Salz.
Und so habe ich zu einer sehr komplexen Arbeitsweise gefunden, die zu Arzneien führt, die einerseits die hereditären Veranlagungen einbezieht, andererseits aber auch die Prägung eines Menschen bedenkt und mit einem entsprechenden Kalium-Salz beantwortet. [4] Diese, das Verhalten eines Menschen formenden Einflüsse können Folge einer belasteten Jugend sein, sie können aber auch schlichtweg vom Familiengeist übernommen worden sein. Krebserkrankungen naher Verwandter, aber auch weiter zurückliegender Generationen betreffende Traumata sind weitere wegweisende Elemente (siehe Kasten "Charakteristika der Karzinogenie").
So kann es also sein, dass ich für die konstitutionelle Behandlung eines Patienten beispielsweise die Hauptarbeit mit Natrium sulphuricum leiste, womit ich seine ererbten Miasmen Sykose und Psora bedenke, zu bestimmten Zeiten aber auch Kalium phosphoricum zur Bereinigung karzinogener Eigenschaften brauche, wobei hier auch die Tuberkulinie mit hineinspielt. Wie ich diese Verknüpfungen am besten herstelle, das habe ich noch nicht vollständig geklärt, es kommt oft aufs Probieren an. Schön ist bei dieser Arbeitsweise aber, dass ich damit mehrere auseinanderstrebende Grundlinien eines Patienten unter einen Hut bringe. Habe ich erst einmal die individuelle Rezeptur für einen Menschen in Form solcher Salze gefunden, was mitunter Jahre dauern und bis zum Erreichen dieses Ziels ein stetiges Nachjustieren erforderlich machen kann, dann brauche ich keine Mittelwechsel mehr, wie es noch Hahnemann gefordert hat, allenfalls Satellitenmittel, wie ich sie im ersten Abschnitt erwähnt habe. Diese Arbeitsweise erfordert Erfahrung, Sorgfalt und Weitblick, hat mir aber immer wieder sehr gute Ergebnisse eingebracht. Mittlerweile habe ich akzeptiert, dass es im Falle chronischer Pathologien keine schnellen Kuren gibt, und dass der Wert der Behandlung in einer stetigen Begleitung über lange Strecken liegt, mit dem Ziel eines kontinuierlichen Abbaus der konstitutionellen und biographisch bzw. familiär prägenden pathogenen Elemente.
Und tatsächlich lehrt uns die Physiologie, dass unser Muskeltonus abhängig ist von der Kalium-Konzentration im Serum. Julius Mezger [2] belegt dies mit einer Formel: Je höher der Kalium-Wert, umso höher der Tonus. [2] Damit bestätigt sich meine These, wonach potenzierte Kalium-Salze diesem Trend entgegenwirken, also den Skelettmuskel entspannen. Und die Schulmedizin kennt die Anwendung von Medikamenten bei schmerzhaften muskulären Spannungszuständen wie Flupirtin (Katadolon®), welches als zelleinwärts gerichteter Kaliumkanal-Öffner funktioniert.
Ursache dieser chronischen Anspannung mag die Angst sein, die dem Arzneimittelbild von Kalium entspricht, die aber auch aus dem Wesen des karzinogenen Miasmas erklärt werden kann. Die orthopädische Forschung widmet sich mittlerweile dem Thema, dass Stress den Muskeltonus erhöht und auf diese Weise Schäden anrichtet. Meines Erachtens baut sich diese Spannung auch über Nacht auf, dann nämlich, wenn die spontane Lockerung durch die Aktivitäten des Tages nicht mehr stattfindet, und wir über lange Strecken in unveränderter Haltung verharren und in unseren Träumen womöglich noch vielfältige Altlasten bearbeiten. Das Zähneknirschen gehört auch dazu. Der erhöhte Muskeltonus kostet nicht nur Kraft, was die Erschöpfung der KaliumPatienten erklären würde, sondern er setzt auch den muskulo-skelettalen Strukturen erheblich zu, verursacht Überreizung, lokale Entzündungen, Ergüsse und Degeneration. Ich wage zu behaupten, dass 80 Prozent aller orthopädischen Probleme über Nacht, also im Schlaf entstehen. Die Folge sind schmerzhafte Sehnenansatz-Erkrankungen wie Tennisellenbogen, Sehnendegenerationen wie Morbus Dupuytren oder dessen Entsprechung an der Fußsohle: Morbus Ledderhose, aber auch der schnellende Finger und die Achillodynie bzw. der Fersensporn, ferner Reizzustände von Gelenken wie die Rhizarthrose des Daumensattelgelenks oder die Metatarsalgie, ein für die Orthopäden schwer zu behandelnder Schmerz im Mittelfußbereich. Auch das Ganglion im Bereich des Handgelenks oder die Bakerzyste in der Kniekehle sind als Folge vermehrter Gelenkflüssigkeitsbildung durch Überreizung der entsprechenden Gelenksstruktur zu erklären. Schließlich werden über diesen Mechanismus auch Deformierungen wie der Hallux valgus und rigidus oder die Fingerpolyarthrose mit Heberden-Knoten verständlich.
Bezüglich der Entstehung von Gelenksarthrosen habe ich meine eigenen Vorstellungen: Der Gelenkknorpel ist eine amorphe, bradytrophe Substanz ohne Blutgefäße. Er ist verformbar und nährt sich über Kompression und Dekompression, wodurch sich ein Eindringen und Auspressen der Gelenkflüssigkeit ergibt, was ihm Substrat zuführt. Bleibt er jedoch über längere Zeit einem erhöhten Druck ausgesetzt, eben durch den hohen Tonus der Skelettmuskulatur, so degeneriert er wie die Haut eines Bettlägerigen an aufliegenden Knochenvorsprüngen, was zum Dekubitus führt. Anfangs erzeugt dies zunächst nur Entrundungen des Gelenkkopfes, womit sich das bekannte Knacken erklärt, schließlich baut der Knorpel großflächig ab, und es entsteht die Arthrose.
Eine besondere Auswirkung dieser Tonuserhöhung mit spezieller Lokalisation fällt mir sehr häufig bei Kalium-Patienten auf, nämlich die Kompression des Thoraxraums mit Druck- und Oppressionsgefühlen oder dem Empfinden eines Gewichts, durchaus vergleichbar der Symptomatik von Ignatia. Dies geht bis hin zur schmerzhaften Reizung der Brustbein-RippenGelenke. Am Rande sei noch erwähnt, dass auf diesem Wege Atemnotzustände erklärbar sind und auch eine Brücke zur Schlaf-Apnoe vorliegt. Schließlich ist für Asthma-Patienten, die Kalium-Salze brauchen, der inspiratorische Stridor typisch: Sie machen nicht auf, und so geht nichts hinein. Natrium-Patienten hingegen leiden an einem exspiratorischen Stridor: Sie geben nichts her, vor allem keine Gefühle, ähnlich wie bei Thuja.
Nun hatte seine Vorgeschichte etliche Dramen offenbart. Er stammt aus einer kinderreichen Familie, der Vater war Alkoholiker und tyrannisierte die Familie mit seiner Gewalttätigkeit in trunkenem Zustand. Die Mutter starb im Alter von nur 50 Jahren, sie war nach zwölf Schwangerschaften mit vier bis fünf Fehlgeburten verbraucht. Zu diesem Zeitpunkt war Herr M. elf Jahre alt. Er besuchte daraufhin ein Internat, was er nach eigener Auskunft gerne tat, um Abstand von der Familie zu bekommen. Ein Bruder starb an plötzlichem Kindstod, eine ältere Schwester an einer schweren Autoimmunerkrankung. Er selbst studierte nach dem Abitur zunächst Theologie, was aber zu inneren Konflikten führte, und schließlich erkrankte er an Morbus Crohn. Davon konnte er sich befreien, indem er seine akademische Laufbahn beendete und sich einer praktischen, handwerklichen Tätigkeit zuwandte. Politisch engagierte er sich bei einer stark links orientierten Partei und ist heute ein entschlossener Kämpfer gegen rechtsradikale Umtriebe.
In seiner Biographie konnte ich neben einer ererbten Syphilinie das biographisch etablierte karzinogene Miasma erkennen. Daher verordnete ich zunächst Carcinosinum C200. Daraufhin sagte er, so gut habe er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Ergänzend entschloss ich mich zu einem Kalium-Salz, in seinem Fall Kalium sulphuricum C200. Die Arthrose, die mit einem Kniegelenkserguss einherging, aber auch von weiteren Schmerzen im Rücken und im Daumensattelgelenk begleitet war, beruhigte sich schon nach den ersten Gaben.
Worauf stützt sich in diesem Fall das karzinogene Miasma? Die Patientin zeigt eine große Gefühlskontrolle, war in ihrer Kindheit als Erstgeborene immer mit zu früher Verantwortung überlastet, zudem hatte die Familie hohe Leistungsansprüche. Ihren ersten Mann, Vater ihrer Kinder, hat sie geheiratet, obwohl er dominant und jähzornig war, und sie selbst findet Erfüllung im Sport mit zum Teil extremen Belastungen, etwa im Klettern. Es ist die Suche nach Grenzerfahrungen, die man bei dieser miasmatischen Belastung häufig sieht.
Ihre Familienanamnese wies viele Krebserkrankungen auf: Vater, Mutter Großmutter, Tanten und Onkels. Mit ihrer Mutter hatte die Patientin viele Konflikte gehabt. Diese war ebenfalls schwer gezeichnet, in ihrer Kindheit stark vernachlässigt und schließlich von ihren Eltern zur Adoption freigegeben worden. Zudem war sie Analphabetin und keine Person, mit der sich meine Patientin identifizieren konnte oder wollte.
Wie Genetiker festgestellt haben, können alte Traumata noch Generationen später Spuren im Erbgut hinterlassen. Zu deren Tilgung können meines Erachtens sowohl Kalium-Salze als auch Carcinosinum eingesetzt werden. Im Fall von Frau K. ist es gelungen, mit Kalium sulphuricum und Carcinosinum fast vollständige Schmerzfreiheit zu erzielen. Die beiden führenden Mittel wurden ergänzt durch Natrium phosphoricum, das ich später gegen Natrium arsenicosum vertauschte. Außer in der Rubrik „Mammae, Schwellung vor der Regel“ tauchte das Kalium-Salz gar nicht auf. Kalium carbonicum, das Stammsalz der Kaliums, war dagegen öfter vertreten, vor allem aber Pulsatilla. Laut Kent darf man Kalium sulphuricum als die chronische, reizbare, durstige Pulsatilla betrachten, meine Erfahrungen bestätigen dies immer wieder und gehen sogar so weit, in der Auswertung der Symptome Pulsatilla wie Sulphur zu werten, was auch zu weiteren Kombinationen wie Natrium sulphuricum, Mercurius sulphuricus etc. führen kann.[5] Neben der erfolgreichen Behandlung ihres Hallux valgus ging es der Patientin auch psychisch besser, was sich nicht zuletzt in der Qualität ihres Schlafes bemerkbar machte – Kranksein betrifft immer den ganzen Menschen.
Ich begann die Behandlung mit Mercurius chloratus natronatus, das mir in ihrem Fall die beste Entsprechung zu der Bechterew ́schen Erkrankung zu sein schien. Den Thoraxschmerz aber, empfunden wie eine schwere Last, konnte ich (siehe auch die einführenden Erläuterungen) mit einem Kalium-Salz erreichen. Ich begann mit Kalium phosphoricum, wechselt dann zu Kalium arsenicosum, um schließlich durch die sich entfaltende Symptomatik zu Kalium iodatum zu finden. Dieses Salz steht im Kent unter rheumatischer Iritis. Entscheidend für meine neue Entscheidung war für mich ein ischialgiformer Schmerz, der sich über die linke Hüfte erstreckte.
Mit dieser Strategie, abhängig von der gerade vorherrschenden Symptomatik, mal Merc-chl-n. und mal Kali-i. zu geben, ergänzt durch gelegentliche Gaben einer Nosode, wurde die Patientin fast schmerzfrei.
Auch die Laborwerte normalisierten sich, und die Immunsuppressiva konnten abgesetzt werden. Lediglich die Ellenbogen-Psoriasis tritt manchmal noch in leichter Form auf (Hering ́sche Regel). Die Behandlung zog sich, bis zur weitgehenden Ausheilung, über zweieinhalb Jahre hin und kostete die Dame insgesamt ca. 1000 Euro an ärztlichem Honorar, die Arzneien waren so gut wie kostenlos (ich erwähne dies zum Vergleich mit den Kosten, die solche Erkrankungen bei allopathischer Behandlung verursachen). Derzeit bestelle ich die Patientin in regelmäßigen, wenngleich großen Abständen ein, denn bis zur endgültigen Ausheilung darf man ruhig noch einige Jahre ansetzen.
Dramatische Ereignisse in ihrem Leben oder dem ihrer Vorfahren kamen bei der Erstanamnese vor 25 Jahren nicht zur Sprache. Ihre Genetik ist aber sicherlich syphilitisch belastet, so litt ihre Mutter an einer Myasthenia gravis congenita und ihr Vater an einer schweren arteriellen Verschlusskrankheit. Als Klinikassistent hatte ich ihn selbst nach seinen beidseitigen Beinamputationen allopathisch betreut. Quecksilber und Jod kann man sehr wohl diesem Miasma zuordnen.
Literaturverzeichnis / Fussnoten