Man möchte beinahe annehmen, auch durch geistige Kräfte sei eine Empfängnisregelung möglich. Wer kennt nicht die Fälle von Frauen, die ewig sich um Nachwuchs bemühten, schließlich resignierten, vielleicht ein Kind adoptierten, um schließlich doch noch spontan schwanger zu werden. Der Körper blockt oft alle Bestrebungen ab, weil der Kopf zu sehr im Spiel ist. Ängste mögen hierbei eine große Rolle spielen.
Ich erinnere mich amüsiert an die Geschichte einer Frau, die mir am Telefon ihre Übelkeit beklagte. Meine Frage nach der letzten Regelblutung beantwortete sie mit dem Hinweis, sie könne überhaupt nicht schwanger sein; der Gynäkologe habe eine Hormonbestimmung durchgeführt und ihr versichert, mit diesen Werten wäre gar keine Schwangerschaft denkbar.
Ihr erstes Kind war mit einem Hydrocephalus zur Welt gekommen; diese Diagnose und die Sorgen um dieses Kind, dem ein Liquor-Ventil eingesetzt werden musste, schienen ihr erhebliche Furcht bereitet zu haben vor einer weiteren Schwangerschaft, die sie und ihr Mann aber durchaus wollten. Die Aussage ihres Arztes aber ließ sie sich entspannen, und prompt gelang, was vorher sich verweigerte. Sein Trick war genial, aber vermutlich ohne Absicht angewandt.
Andererseits: so mancher Geschlechtsakt findet wohl nur statt mit dem Wunsch, ein Kind zu zeugen („da sehe ich im Ultraschall einen sprungreifen Follikel; nun aber rasch nach Hause und ins Bett!“). Das kann ja nichts werden. Daher rate ich zeugungswilligen Paaren, das Ziel zu vergessen und die Liebe um ihrer selbst willen zu genießen – wenn es denn immer so einfach wäre.
Auch hierzu eine Geschichte: Frau A.K. hatte schon zwei Kinder. Eine neue Partnerschaft sollte gleichfalls durch Nachwuchs abgesegnet werden, aber es klappte nicht. Alle möglichen Anstrengungen schulmedizinischer Art führten schließlich zu einer Zwillingsschwangerschaft. Nun aber glaubte sie, ohne Hormone etc. gar nicht mehr empfängnisfähig zu sein. Als dann aber unerwartet noch mal ein Junge gezeugt wurde, da, so sagte sie, musste sie häufig meiner Mahnung gedenken, ihren Ehrgeiz zu zügeln.
Diese angespannte Fixierung ist vermutlich ein wesentlicher Grund für das Ausbleiben einer Schwangerschaft. Ein anderer Grund mag sein die Angst vor der Zukunft, ein fehlender Wagemut, wobei der Körper umsetzt, was die Seele empfindet.
Genetische Faktoren aber dürften die dritte Ursache sein, etwa dann, wenn es zwar zur Befruchtung kommt, aber der Embryo in der Frühschwangerschaft abstirbt, weil vermutlich grundlegende Anlagestörungen ein Ausreifen verhindern. All diesen Faktoren können wir mit unserer Behandlungsmethode entgegentreten.
In meinen ersten Jahren als Homöopath hatte ich eine kleine Serie von Frauen, bei denen mit Unterstützung durch meine Globuli zügig die Schwangerschaft eintrat, nach der sie sich zuvor lange gesehnt hatten. Dieses Anfängerglück war ein Ansporn, ließ sich aber später nicht mehr so einfach hervorrufen. Ich musste, nicht nur auf dem Gebiet der Fruchtbarkeit, meine Arbeitsweise wesentlich und in vielen Schritten immer weiter verfeinern, damit aus den zunächst sporadischen Erfolgen eine verlässliche, zielsichere Behandlungsweise wurde und das Potential der Methode weit besser zu Geltung kam, bei Krankheiten aller Schweregrade.
Ich beobachte bei vielen Kollegen, die wie ich mit der gängigen Polychrest-Homöopathie groß geworden sind, ein Streben nach neuen Wegen und neuen Arzneien – für mich der Beleg dafür, dass sie mit unserem bisherigen Arsenal nicht hinreichend zufriedenstellend arbeiten konnten. Pflanzenfamilien, Tierreiche, seltene Erden etc. werden bemüht, um die Grenzen unserer Methode auszuweiten, neue Schulen bieten uns bei der Mittelfindung ihre Hilfe an. Die erfolgreiche Behandlung chronischer Leiden bleibt aber noch eine große Herausforderung und ich zweifle an der Nachhaltigkeit vieler der angepriesenen Lösungen –auch wenn sie noch so zauberhaft klingen –, zumal ich manche der geschilderten Strategien eher als ein Steckenbleiben in einer Art chronischer Akutbehandlung sehe denn als eine souveräne konstitutionelle Therapie.
Hier wäre ein großer Bedarf, die verschiedenen Techniken abzugleichen und auf ihre Verlässlichkeit hin zu überprüfen. Mein Weg, den auch ich gehen musste, herausgefordert von ungelösten Fällen, führte eher zurück in die Zeit von JT Kent. Offenbar spürten die Homöopathen seiner Generation vor etwa 100 Jahren ebenso wie wir diese Defizite und suchten nach besseren Wegen; und fanden sie meines Erachtens in den Salzen von Schüßler und vielen ähnlichen Kombinationen. Kent beschreibt sie mit Enthusiasmus und fügt seinerseits einige weitere hinzu. Das Angebot solcher sogenannter zusammengesetzter Arzneien, wie sie etwa Magister Robert Müntz, der Chef von Remedia, im Angebot hat, ist unermesslich.
Zunächst aber erlaube ich mir, die Grundlagen meiner miasmatisch strukturierten Arbeitsweise zu skizzieren:
1. halte ich, in Übereinstimmung mit vielen renommierten Homöopathen, die mineralischen Mittel für die Hauptarzneien bei der Lösung chronisch-konstitutioneller Probleme.
2. habe ich aber, anknüpfend an W Schüßler und JT Kent, die Erfahrung gemacht, dass Kombinationen wie z. B. Natrium phosphoricum, Kalium silicicum oder Aurum muriaticum natronatum wesentlich bessere Lösungen ermöglichen als die als Polychreste hinreichend bekannten Einzelsubstanzen wie Phosphor, Silicea, Pulsatilla etc...
3. stützt sich meine Arbeit auf ein reduziertes Miasmensystem mit eindeutigen, überschaubaren Zuordnungen.
4. hat es sich mir in den letzten zwei Jahren zur Gewissheit verdichtet, dass mehr oder weniger alle Patienten nicht nur vom syphilitischen, tuberkulinischen, psorischen oder sykotischen Miasma gekennzeichnet sind - meist hereditären Ursprungs -, sondern darüber hinaus Anteile des karzinogenen Miasmas in sich tragen, welche häufig, aber nicht ausschließlich, aus biographischer Prägung stammen, also das Produkt ihrer Sozialisation sind (nicht selten aber im Zusammenwirken mit einer familiären Krebsaszendenz).
5. Und so fand ich in nicht wenigen Fällen zu derart komplexen Lösungen, dass ein Patient wegen seines Asthmas z. B. nicht nur Natrium sulfuricum benötigte, sondern auch Kalium iodatum - in Abfolge oder in intermittierend eingesetzt -, also extra neben einem Konstitutionsmittel anderer miasmatischer Zuordnung auch eine Arznei der Karzinogenie, d.h. Carcinosinum oder eines der Kali-Salze, die ich dem karzinogenen Miasma zuordne.
6. Weshalb ich heute behaupten möchte, dass jeder Fall mit dieser Zweigleisigkeit, d.h. sowohl mit einem Natrium- als auch einem Kalium-Salz, gut bedient ist als Rückgrat der Behandlung; ein Aufsatz aus meiner Feder versucht dies zu begründen: Kann dieser Weg noch richtig sein? (unter www.ernst-trebin.de). Daneben aber bedarf es der Nosoden zur Lösung von ererbten oder biografisch bedingten Blockaden sowie von Akutmitteln meist pflanzlicher Herkunft zur Beantwortung von Kausalitäten oder Traumata.
Auf diesem Weg, mit Bedacht und Zurückhaltung ausgedrückt, bin ich weit vorangekommen, wenngleich noch nicht am Ende aller Erkenntnis angelangt. Auf alle Fälle lassen sich damit die verschiedenen Aspekte, die sich aus der Anamnese, Repertorisation und Hierarchisierung der Symptome eines Patienten ergeben, besser unter einen Hut bringen als mit den sprunghaften Gaben unterschiedlichster Arzneien in unstrukturierter Abfolge, wie es noch Hahnemann empfahl. Die Behandlung einer Patientin mit unerfülltem Kinderwunsch bietet eine gute Gelegenheit, meine Arbeitsweise zu verdeutlichen.
Die wirkliche Heilung konstitutioneller Veranlagungen eines Patienten, man kann es auch als seine chronischen Krankheiten bezeichnen, geschieht nach meiner Erfahrung nicht mit der einzelnen Gabe einer genialen Arznei, sondern ist ein dynamisches Geschehen, das jenseits der Erstanamnese über den Weg einer kontinuierlichen Betreuung ein zunehmend vertieftes Verstehen des Patienten und seiner Vorgeschichte umfasst, schließlich auch anhand seiner Reaktionen sowie intermittierender Krisen eine Heranarbeiten an seine optimale Rezeptur bedeutet und eigentlich in den meisten Fällen einen jahrelangen Prozess darstellt – dessen Ziel und Ende dann aber ein nachhaltiges Abtragen aller seiner Altlasten sein sollte, auch bei schwersten Pathologien, was aber wegen des Umfangs der Maßnahmen auch kaum in einem Aufsatz wiedergegeben werden kann, sondern eher ein Buch füllen würde.
Da die Betreuung meiner hier zu schildernden Patientin jedoch nur dem Kinderwunsch dienen sollte, ist diese Geschichte überschaubar und kann in allen einzelnen Schritten dargestellt werden, ohne, wie ich hoffe, den Leser damit zu langweilen.
Frau F.G., geboren 1983, stellte sich schon ein erstes Mal zu einer kurzen Anamnese vor im Oktober 2003, im Alter von 20 Jahren. Ihr damaliges Anliegen waren Vaginal-Infekte, die nach einer lokalen antimykotischen Behandlung in ein starkes allgemeines Hautjucken mutierten, metastasierten, wie es die alten Homöopathen ausdrückten. Auch eine bekannte Neigung zu Harnwegsinfekten sprach für das Vorherrschen der Sykose, deren Hauptarzneien für mich die Natrium-Salze sind. Natrium einerseits also, andererseits Träume von ausfallenden Zähnen (Sulfuricum acidum) sowie dieser Juckreiz, der am ehesten an Sulfur denken ließ, erlaubten mir die Kombination zu Natrium sulfuricum.
Nach einer Gabe in C200 beruhigte sich die Haut rasch, 14 Tage später aber trat wieder ein Harnwegsinfekt auf, der mit Stechen in der Harnröhre, kolikartigen Nierenschmerzen sowie intermittierender glühender Fieberhitze einherging. Analgetika und Belladonna C200 besserten die Lage, unter Verdacht auf ein Harnwegskonkrement verwies ich sie aber weiter an den Urologen, hörte dann aber erstmal nichts mehr von ihr.
6 Jahre später, im April 2009, nun 26 Jahre alt, wurde ich wiederum um Rat gefragt wegen ihrer Versagensängste und Depressionen mit Suizid-Gedanken, ausgelöst durch eine vergebliche Stellensuche nach Abschluss des Studiums. Ihre Schwester, etwas erfahren mit Homöopathie, dachte an Pulsatilla, wohl auch wegen ihrer Weinerlichkeit. Nun ist Pulsatilla, laut Burnett, eine „Kinderpistole“, hat also keine große Reichweite und wird von mir wie Schwefel oder eines seiner Salze verwertet. Kent nannte Kalium sulfuricum die chronische Pulsatilla, für mich kommt aber auch Natrium sulfuricum in Betracht.
So erhielt sie also erneut eine Gabe dieses Salzes in C200, ein paar Tage darauf noch Ignatia C200 wegen der Scham über ihren Zustand – und wieder vergingen ein paar Jahre bis zu unserem nächsten Kontakt.
Im April 2018, jetzt 35 Jahre alt, führte sie der unerfüllte Kinderwunsch in meine Praxis. Über zwei Jahre hätte sie nun, nach Beendigung einer jahrelangen Verhütung mit Pille, keine Menstruation mehr gehabt, sei sie wieder depressiv geworden, leide an starker Stimmungslabilität. Nun riecht für mich alles, was aussetzt, lange auf sich warten lässt, aber auch regelmäßig zu spät zu meinen Terminen kommt(!), nach Pulsatilla: also wieder ein Hinweis auf Natrium sulfuricum. Auch fallen im Traum wieder die Zähne aus. Ich setzte die Arbeit wieder fort mit Nat-s. C200.
Nun gibt es aber noch ein anderes Problemfeld, das von dieser Arznei eher weniger abgedeckt ist, wiederkehrende Kehlkopfentzündungen nämlich. Ich dachte dabei an Phosphorus oder Jodum. Auch fiel mir eine Charaktereigenschaft auf, die – siehe die einleitenden Worte! – möglicherweise auch einer Konzeption im Wege steht, nämlich das starke Verlangen nach Planung und Kontrolle, ein Kali-Thema also.
Ich entschied mich 14 Tage nach der letzten Mittelgabe für Kalium jodatum C200 als ergänzende Linie, nachdem die depressive Stimmung gewichen war und ein Globusgefühl sich etabliert hatte, verbunden mit der Angst vor einer bösartigen Erkrankung. Nach weiteren 3 Wochen sollte sie noch eine Gabe Carcinosinum C200 einnehmen.
Die nächste Konsultation im Juni 2018 ließ Freudiges vernehmen: Die Menstruation war wieder eingetreten, die Kehlkopfreizung unter Kontrolle gebracht, auch mit Hilfe einer Stimmtherapie, die seelische Lage stabilisiert und das Bewusstsein dafür geweckt, etwas mehr Druck, Leistungsanspruch und Erwartungshaltung aus ihrem Leben zu nehmen.
Ab jetzt spielte sich die Regelblutung wieder ein und blieben Stimmung wie Kehlkopf in guter Verfassung. Sie erhielt in einem 3-Wochen-Turnus weiterhin Nat-s. C200 und Kali-j. C200 im Wechsel. Und im Oktober 2018 vermeldete sie den Eintritt einer Schwangerschaft!
Im Januar 2019 forderte die Schwangerschaft aber ihren Tribut mit Übelkeit, launischem Appetit, Schokolade-Verlangen und Weinerlichkeit. Natrium sulfuricum C200, 9 Wochen zuvor zuletzt gegeben, brachte sie wieder in’s Gleichgewicht. Erneut 3 Wochen später meldete sich wieder ein stechender Schmerz im Kehlkopf; nun tat Kalium jodatum C50.000K seine Arbeit. Im Februar 2019 störte ein starkes Hautjucken mit abendlicher Verschlechterung; eine Dosis Sepia C200, obwohl gut indiziert (Skin, itching during pregnancy), half nicht, ich griff wieder zu Natrium sulfuricum, diesmal auch in C50.000K.
Tags darauf ging es ihr sehr schlecht, sie musste viel weinen, konnte nicht schlafen, litt unter Versagensangst, entzündeten sich die Lidränder und eiterten. Ich vermutete eine Reaktion auf die Dosissteigerung und gab nichts (vielleicht wäre Psorinum angezeigt gewesen); sie kam binnen 2 Tagen wieder zur Ruhe. Danach war und blieb sie wohlauf und brachte im September 2019 ein gesundes Kind zur Welt.
Den letzten Kontakt hatten wir im Oktober 2019; die Gelenke schmerzten ihr, vor allem am Morgen, sie beklagte eine Muskelschwäche und ein Einschlafen der Hände nachts. Sie erhielt Kalium jodatum LMK und hat sich seither nicht mehr gemeldet. Dass mir die Kali-Salze die besten Helfer bei Arthropathien sind, habe ich in einem Aufsatz für die Homöopathie-Zeitschrift II/2017 erläutert, und ich erwähne dies hier, weil sich auch in diesem Falle diese meine duale Therapie als sinnvoll erwiesen hat.
Bamberg, im Februar 2020