Ein schottischer Kollege fragt mich jüngst, was mich dazu führe, mal ein langfristig wirkendes, konstitutionelles Mittel zu wählen und mal eines für einen bestimmten Zustand. Meine Antwort war, man muss ein Gespür dafür haben, in welcher Ebene man sich befindet, wenn man einen Fall bearbeitet. Hat man eine konkrete, einzelstehende Symptomatik, so wird man in der akuten Situation die Auswahl danach ausrichten. Das gilt zum Beispiel für eine akute Tonsillitis: Wenn man ein klares Bild von Hepar sulfuris oder Phytolacca hat, dann wird man damit starten. Ist die Symptomatik aber eher diffus, so sucht man sein Heil vor allem in den konstitutionellen Gegebenheiten, wenn nicht sogar in einer Nosode. Das gilt auch, wenn ein angezeigtes Akutmittel wie oben erwähnt nicht hinreichend genug hilft.
Diese Aussage musste ich beherzigen, als mich vor einigen Wochen ein Junge mit seinem Asthma herausforderte. Das übliche Mittel bei kindlichem Asthma ist Natrium sulfuricum, das ihm auch schon manches Mal gut geholfen hatte, etwa bei einer Diarrhoe mit viel Gas, oder bei einer gedrückten Stimmungslage, in der er als leblos, anhänglich, weinerlich beschrieben wurde. Oder wenn die Nase im Liegen dicht war, ein Hinweis auf Pulsatilla, das ich gerne den Schwefelsalzen zuschreibe. Auch eine Warze an der Hand verschwand nach dieser Arznei.
Nun, er hatte erst eine Dosis Natrium sulfuricum C50.000 Korsakoff erhalten, weil er, 4 Jahre alt, im Kindergarten nicht Wasserlassen wollte (Natrium!), als sich ein offenbar allergisch bedingter Husten einstellte. Ich suchte, wie ich es gerne tue, das Heil in einem parallel eingesetzten Kali-Salz wie Kalium jodatum und Kalium bichromicum – aber er fand keine Erleichterung. Augenjucken, Niesen, trockener Husten und Gaumenjucken bestanden fort. Ergänzende Nosoden, die bei Pollinose in der Regel weiterhelfen, wie Medorrhinum und Psorinum, brachten auch keine Hilfe.
Das Ganze zog sich schon über 6 Wochen hin, währenddessen er sogar Inhalationen mit Salbutamol (zur Erweiterung der Bronchien) und Budesonid (einem inhalativen Cortison-Präparat) erhielt, als die Mutter berichtete, dass alles besser war bei einer Reise nach Korfu, in der Nähe des Meeres. Zu Hause allerdings kam es wieder zu einem Rückfall, und auch ein Ellenbeugen-Ekzem stellte sich wieder ein.
Besserung am Meer bedeutet für mich in aller Regel: Carcinosinum. Und ich gedachte des Schicksals seiner Mutter, die selbst lange unter einem ungeklärten laryngo-trachealen Reizhusten gelitten hatte. Sie war das 9. Kind ihrer Familie und ihre Mutter verstarb 6 Wochen nach ihrer Geburt. Die Familie wurde damals aufgelöst, die Kinder auf Pflegeeltern verteilt oder in Heimen untergebracht, und im Alter von 9 Monaten wurde sie dann von einem fränkischen Ehepaar adoptiert.
Auch wenn sie daran keine Erinnerungen hat und im Weiteren glücklich aufwuchs, darf man das Trauma nicht unterschätzen, das sich der Mutter eingeprägt hat – und offenbar an ihr Kind weitergereicht wurde. Und so wurde die Nosode Carcinosinum für den kleinen Jungen der Retter, denn eine Woche nach einer Gabe in C200 war das Asthma weitgehend bereinigt und er fühlte sich wieder sehr wohl.
Welch ein Segen, den uns die Homöopathie mit ihrem Wissen und ihren Arzneien verleiht!
Bamberg, im Juni 2023