Mir ist ein Skript aus dem Haus der Schweizer Dr.B.K.Bose-Stiftung in die Hände gefallen über eine Arzneimittelprüfung von Natrium arsenicosum, durchgeführt unter Mohinder Sing Jus – aus dem Jahr 2006. Weil Ich selbst mit derartigen Kombinationen arbeite, fühle mich angesprochen durch die Aufforderung dieses Instituts, Erfahrungsberichte beizusteuern.
Zwei wesentliche Elemente aus dem Gemütsbereich vermisse ich in diesen umfangreichen Symptomenbildern, einerseits „Quält sich selbst“ (acon., ars., Lil-t., nat-m., plb., tarent., tub. – aus H. Barthel: Synthetisches Repertorium, Band I; Haug-Verlag, Heidelberg; 1973), andererseits „fear of contagious, epidemic diseases“ (ars., CALC.,lach., thuj. – aus R. Murphy: Homeopathic medical repertory, 2d edition; Hahnemann Academy of North America, Durango/California; 1996).
Diese zwei Symptome, die Arsen zugeschrieben werden, konnten erfolgreich auch mit Natrium arsenicosum behandelt werden. „Quält sich selbst“ nehme ich gerne als Rubrik bei Verhaltensstörungen junger Menschen, nämlich Anorexia nervosa und Selbstverletzung durch Ritzen.
In einer Familie, deren eine Tochter an Anorexie litt und die andere im Zustand schwerer Depression sich selbst geritzt hat, konnte beides gut überwunden werden.
L.W., geboren 2002, kam zu mir mit 12 Jahren mit dieser Essstörung. Im Verlauf der Suche nach einer passenden homöopathischen Arznei traten zusätzlich starke Bauchkrämpfe mit schwerer Obstipation auf. Das Gewicht war stets unter 40 kg (Tiefpunkt 35 kg), das Verhalten von hoher Aggressivität gezeichnet. Nach der ersten Gabe Natrium arsenicosum C200H wendete sich das Blatt, die Essstörung legte sich, die Bauchschmerzen verschwanden, das Gewicht ging über die 40-kg-Grenze. Weitere Gaben wurden nachgelegt, erst in C200H, später in C50.000K. Damit wurde dieser Beschwerdekomplex in wenigen Wochen nachhaltig bereinigt. Nebenbei sei erwähnt, dass mich ein anfangs hinzugezogener Psychotherapeut heftig kritisierte, weil ich nicht sofort eine stationäre Klinikbehandlung angeordnet hatte.
H.W., ihre Schwester, geboren 2006, geriet in eine schwere Depression, blieb nur noch im Bett, im abgedunkelten Raum, stand nicht mehr auf, nahm an keinen Mahlzeiten mehr teil und verhielt sich sehr abweisend. Der Schule blieb sie wochenlang fern. Schließlich unterzog sie sich einer psychiatrischen Therapie in einer Tagesklinik über 3 ½ Monate. Wieder zuhause, war sie nicht wirklich stabil, sie begann sich zu ritzen, wurde ferner beim Ladendiebstahl erwischt (aus einer wohlhabenden Familie stammend). Da kam mir, der ich vorher schon nach Lösungen gesucht hatte, die Idee zu Arsen bzw. einem seiner Salze. Ich gab im Juli 2022 Kalium arsenicosum C200H – ohne durchgreifenden Erfolg. Eine Woche später legte ich Natrium arsenicosum C200H nach. Seither wird weder geritzt noch die Schule verweigert, vielmehr ist sie guter Laune und hochmotiviert. Eine zweite Gabe erfolgte 6 Wochen später – wir sind zufrieden!
Von welcher Bedeutung diese salzartigen Kombinationen sein können – gegenüber dem reinen Element – zeigt folgender Fall:
So hatte ich jüngst zu tun mit meinem Patienten H.N., 68, der mich wegen akuten, heftigen, fast ausschließlich nächtlichen Diarrhoen konsultierte. Von ihm wusste ich, dass er Anteile von Arsen in sich trägt. Er geriet nämlich vor vielen Jahren in eine fast psychotische Verfassung, die damals allerdings einer Frühsommer-Meningoenzephalitis zugeschrieben wurde. Er fiel dadurch auf, dass er nachts in einem Zustand von Verwirrtheit von einem Bett in’s andere wanderte: ein guter Hinweis auf Arsen.
Weitere Informationen zu seiner aktuellen Darmsymptomatik hatte ich allerdings nun nicht erheben können, auch Kummer oder Stress verneinte er. Die Entzündungswerte im Blut waren erhöht mit einer BKS von 20/50 mm/h und 10.000 Leukozyten/µl. Hier lag also wohl kein viraler oder bakterieller Infekt vor – die Ergebnisse der Stuhluntersuchung bestätigten dies –, sondern eine neu aufgetretene entzündliche Darmerkrankung im Sinne etwa eines Morbus Crohn; auch dies bestätigte die Stuhluntersuchung mit einem hochpositiven Calprotectin. Wohl nicht zufällig war auch schon sein Sohn von dieser Diagnose betroffen.
Arsenicum album C200, bei einer akuten Enteritis sicher die Nr.1, gegeben am 27.06.2019, half ihm nicht. Am Tag darauf: weiterhin stündlich Diarrhoe nachts. Eine Dosis Natrium arsenicosum C200, am 28.6.19 nachgelegt, brachte aber rasch Ruhe, und nach 14 Tagen waren alle Werte wieder in der Norm. In den vergangenen Monaten hatte ihm der Zahnarzt wegen einer umfangreichen Gebiss-Sanierung mehrmalige Antibiotika-Kuren verordnet (was bekanntlich die Sykose weckt, der ich gerne die Natrium-Salze zuordne). Und bei einer erneuten Befragung räumte er doch einen Ärger ein, über den er wohl – auch Natrium! – zunächst nicht sprechen wollte.
Auch die nächtliche Panik ist eine Keynote von Arsenicum album und gehört deshalb gleichfalls zum Arzneimittelbild des Natrium-Salzes. Hierzu ein Fallbeispiel:
Eine heute 70 Jahre alte Frau bot in vielerlei Hinsicht das Bild von Natrium muriaticum: Herpes labialis, Unverträglichkeit von Sonne und Hitze, Obstipation auf Reisen, Furcht vor Enttäuschungen, Harnwegsinfektionen und Scheidenentzündungen, Unversöhnlichkeit selbst nach lange zurückliegenden Kränkungen, Abneigung gegen Fleisch etc.. Diese Arznei half immer ein wenig, aber nur kurz, ebenso Natrium carbonicum und Sepia. Dass dies alles noch nicht die Lösung sein konnte, zeigte sich schließlich, nach bereits jahrelanger Betreuung, in Form einer heftigen Appendizitis, die meines Erachtens Ausdruck der Sykose ist (und als deren Hauptarzneien ich die Natrium-Salze betrachte).
Nach der Operation erholte sie sich nur sehr langsam, litt danach lange Zeit an nicht geringen analen Blutungen, die sie in eine manifeste Anämie trieben. Mittlerweile routinierter geworden mit Salzen und deren Kombination, sah ich die Stunde gekommen für Aurum muriaticum natronatum, zumal in ihrer Familie die Syphilinie stark vertreten zu sein schien.
Darunter kam sie wieder gut zu Kräften und die Blutung sistierte. Dann aber, ca. 4 Jahre später, erlitt sie einen massiven Einbruch. Es war im Oktober 2011, dass sie gegen Mitternacht, nach dem Aufsuchen der Toilette, zunächst kollabierte und dann in eine massive Panik geriet. Ihr war schwindelig, sie bebte am ganzen Leib und ihr Blutdruck kletterte auf über 200 mm Hg. Aus der Hausapotheke erhielt sie eine Dosis Aconitum C200, später Gelsemium C30, doch nur mit großer Mühe überstand sie die Nacht. Und ab da war nichts mehr so wie zuvor.
Sie entfaltete eine massive Angststörung, fixiert auf somatische Symptome, vor allem auf den Hypertonus. Daraufhin unterzog sie sich allen möglichen Untersuchungen einschließlich cerebralem MRT, was freilich sämtlich keine Erklärung lieferte für ihre Verfassung. Lediglich eine 24-h-Blutdruckmessung fiel dadurch auf, dass der Durchschnittswert erhöht war und vor allem die Nachtabsenkung fehlte.
Was war geschehen? Wenige Tage vor diesem Kollaps wohnte sie einer Trauerfeier bei für eine entfernte Verwandte. Das Leid der Hinterbliebenen hat sie tief ergriffen und dies muss sie wohl mit Gedanken an den eigenen Tod konfrontiert haben; nur so konnte ich mir die Veränderung erklären. Allerdings fiel im Nachhinein auf, dass sie die Monate zuvor sensibler gegen Schmutz geworden war, denn sie hatte begonnen, ihren Badezimmer-Teppich alle zwei Tage in die Waschmaschine zu stecken, weil sie Furcht hatte, sich einen Fußpilz einzuhandeln.
Arsenicum album schien mir schon dringend angezeigt angesichts der Todesangst, der Furcht vor Verschmutzung, einer Angst vor dem Alleinsein und der nächtlichen Panik mit Beginn um Mitternacht. Auch dass sie monatelang nachts immer wieder durch die Wohnung wanderte oder den Schlafplatz wechselte (will aus einem Bett ins andere), sprach für dieses Mittel.
Aber eine Dosis Arsenicum album C30, später auch mal C1000, brachten überhaupt keinen Gewinn. 8 Monate lang bemühte ich mich um Linderung, ohne zunächst voranzukommen. Anxiolytika wie Opipramol halfen ihr auch nicht, schließlich erhielt sie von ihrer Hausärztin Antidepressiva. Die Angst saß tief, ließ sich kaum mildern und lähmte ihr Leben. Nur eine Psychotherapie gab ihr zumindest etwas Halt.
Auf lange Sicht war vor allem das schwere und angstbesetzte Einschlafen die größte Beeinträchtigung. Hinzu kam noch eine manchmal fast wahnhafte Furcht vor Medikamenten, die ihr wenigstens im Moment hätten helfen können wie etwa Tavor®.
Ich suchte verzweifelt auf vielen Wegen nach einer Lösung; in Zeiten größter Not kam auch mal Hyoscyamus C200 zum Einsatz. Nach knapp einem Dreivierteljahr war ich wieder bei Natrium arsenicosum angelangt, nicht zum ersten Mal allerdings. Ich hatte es nämlich bis dahin schon 4 mal in C200 gegeben, aber es hatte zunächst keinen spürbaren Erfolg gebracht. Als ich dann schließlich nach Monaten erneut darauf zurückgriff, diesmal in C 50.000 K, zeigte es Wirkung und führte tatsächlich nach und nach aus dem Elend heraus.
Arsenicum album, das schließlich als Natrium-Salz Hilfe brachte, konnte ich auch aus der familiären Belastung ableiten; es schien mir bei beiden Elternteilen konstitutionell verankert und es ist genauso der Syphilinie zuzuschreiben wie das zuvor gewählte Aurum.
Seither hat sie Natrium arsenicosum 35 mal in LMK erhalten und konnte darunter Schritt für Schritt ihre Not überwinden. Mit Abklingen der Wirkung, gemäß der Kentschen Skala alle 7 bis 8 Wochen, meldete sich ein erneuter Bedarf an, meist in Form wieder aufkommender Einschlafschwierigkeiten. Die letzten beiden Gaben erhielt sie in CM (C 100.000 K); binnen zwei Tagen fand sie jeweils wieder zu einem guten Schlaf – zuletzt im Oktober 2018.
Eigentlich ist Natrium arsenicosum nichts anderes als Arsenicum album, nur mit einer Prise Salz verfeinert; das aber scheint entscheidend zu sein. Bei Kalium arsenicosum liegen die Dinge etwas anders.
Bamberg, im Oktober 2022