Seit 37 Jahren bin ich in eigener Praxis als Hausarzt niedergelassen, seither beschäftige ich mich leidenschaftlich mit der Homöopathie. Vor allem ab 1997, nach dem Wechsel aus 12 Jahren Kassenarzt-Tätigkeit in die Privatpraxis, stellte ich mich der Herausforderung, alle gesundheitlichen Probleme mit dieser Methode lösen zu können; die wirtschaftlichen Voraussetzungen waren ja nun gegeben.
In gut 50 bis 60 % aller Fälle kam ich zu guten Erfolgen, aber die Therapie-Versager wollte ich nicht vergessen. So suchte und fand ich zu neuen Wegen, auf intensive Literaturstudien gestützt und vom großen Strom einer reichlichen Patientenschar belehrt. Kein Umsturz wurde mein Weg, sondern nur eine Verfeinerung der Arbeitsweise, über das hinaus, was ich in Kursen und Seminaren gelernt hatte.
Und ich stellte fest, dass ich zurückfand zu einer Arbeitsweise, wie sie vor 100 und mehr Jahren schon Schüßler und Kent mitsamt ihrer Kollegengeneration angedacht hatten. Sie strebten meines Erachtens auch schon nach einer Verbesserung der Methode, vermutlich wahrnehmend, dass der bis dahin gelehrte Ansatz mit den üblichen Polychresten nicht ausreichte.
Unsere zeitgenössischen Kollegen suchen ja auch schon seit vielleicht 30 Jahren nach besseren Wegen und folgen vielfach neuen Schulen, machen sich wie Jan Scholten und Magister Robert Müntz in ferne Länder auf, um neue Arzneimittel zu suchen. Wir haben sie schon alle, ist meine Antwort, wir müssen sie nur zu finden wissen!
Ich begriff bald, dass keineswegs alle unsere Arzneien geeignet sind, chronische Krankheiten zu heilen, allenfalls 10 % unserer Materia medica, wie Gerhard Risch im Buch von Yves Laborde Die chronischen hereditären Krankheiten ausführt. Vor allem die Mineralien sind es, die uns nach der Auffassung alter Meister hierbei helfen, also Phosphor, Sulfur, Natrium muriaticum, Calcium carbonicum etc.. Schon Hahnemann vermittelte uns in seinem Lehrbuch über die Chronischen Krankheiten dieses Wissen – was aber viele Homöopathen bis heute nicht wahrhaben wollen. Auch die Miasmenlehre, starkes Fundament meiner Arbeit und von JC Burnett eindrucksvoll zelebriert, erfährt nicht die ihr angemessene Wertschätzung.
Ich ging aber weiter, eben zurück zu Schüßler und Kent, und fand mein berufliches Heil in den Salzen, meist auf dem Weg des Kombinierens und aufgrund miasmatischer Überlegungen ausgewählt. So fiel mir bald auf, dass Calcium phosphoricum besser wirkt als der reine Phosphor, noch besser Natrium phosphoricum, das eines meiner beliebtesten Arzneimittel wurde. Ähnlich ging es mir mit Natrium sulfuricum, das mich in Fällen rettete, die ganz nach Sulfur aussahen, allerdings dadurch keine Heilung erfuhren. Hierbei nützte mir die Erkenntnis, dass nicht nur die Psora am Werk war, sondern auch die Sykose, etwa in Gestalt einiger Warzen.
So legte ich mir als Erklärung für den Wert der kombinierten Arzneien, der Salze also, die These zurecht, dass zum Zustandekommen einer tieferen Pathologie mehrere Miasmen beteiligt sein müssen, jede der Komponenten dieser Salze also für ein anderes Miasma steht. Hahnemann hat auch auf diese Mittel spekuliert mit folgender Äußerung:
„Einzelne zusammengesetzte (complizirte) Krankheitsfälle gibt es, in welchen das Verabreichen eines Doppelmittels ganz homöopathisch und echt rationell ist; wenn nämlich jedes von den zwei Arzneimitteln dem Krankheitsfalle homöopathisch angemessen erscheint, jedes jedoch von einer anderen Seite; oder wenn der Krankheitsfall auf mehr als einer der von mir aufgefundenen drei Grundursachen chronischer Leiden beruht, und außer der Psora auch Syphilis und Sykosis mit im Spiel sind.“
(Zitat Hahnemann, widergegeben von Arthur Lutze, aus Weingärtner O.: Homöopathische Kombinationsarzneimittel)
Er ließ aber davon ab, da er sich der Vielmischerei nicht schuldig machen wollte, die er doch bei der herkömmlichen Behandlung so beklagte.
Es gibt eine unglaubliche Menge dieser Salze, wie ein Blick auf das Angebot der Firma Remedia zeigt, für mich Ausdruck einer großen Experimentierfreude der Generation Kents; man weiß über viele dieser Kombinationen überhaupt nichts. So ging es mir nach der Entdeckung von Mercurius chloratus natronatus, dass ich, trotz des hohen Wertes dieser Arznei, keinerlei Information über seinen Urheber noch über ein Arzneimittelbild fand.
Im Folgenden zeige ich eine Liste bekannter und bewährter Salze, teils von Schüßler initiiert, teils von Kent und teils aus unbekannter Herkunft:
Die meisten davon habe ich zumindest für einige Zeit mit gutem Erfolg eingesetzt, schließlich aber mein Arsenal deutlich zusammengestrichen. Es gibt eben viele Similes, die für eine gewisse Spanne taugen, dann aber doch versagen und neue Entscheidungen herausfordern. In nicht wenigen Fälle zeigt erst eine jahrelange Begleitung des Patienten den richtigen Weg, bis dahin sind manche Korrekturen erforderlich.
Während ich die Kollegenschaft mit meiner Mineralomanie (so bezeichnete es mal ein Kollege) erheblich überfordert habe, auch dadurch, dass ich manche pflanzliche Arzneien in Mineralien „übersetze“, etwa Pulsatilla als Sulfur verwerte und Spongia als Jodum; oder damit, dass ich entgegen der Hahnemannschen Lehre in der Behandlung chronischer Leiden nicht eine ganze Reihe verschiedener Arzneien verordne, sondern ein (bzw. zwei) dieser Salze als lebenslanges Konstitutionsmittel zu finden suche; oder damit, dass ich die Kalium- Salze dem karzinogenen Miasma zuordne – so wird es noch schwieriger werden, für meine fundamentale Erkenntnis Freunde zu finden, nämlich für jeden Patienten zwei Salze einzusetzen, ein Natrium-Salz ebenso wie ein Kalium-Salz. Wie ich diesen Dualen Weg begründe, erörtere ich in einem anderen Aufsatz: Kann dieser Weg noch richtig sein? (www.ernst-trebin.de)
Mit Kalium jodatum und zuletzt Kalium bichromicum habe ich, so scheint mir heute, mein Arsenal vermutlich weitgehend abgeschlossen und sehe nun eine Berechtigung dafür, mein System weiter bekannt zu machen. Hier werden nun meine Mittel in der konstitutionellen Behandlung vorgestellt. Es sind merkwürdiger Weise wie beim Schüßlerschen Postulat 12 Salze, sie sind aber mit der Schüßlerschen Biochemie nicht identisch.
Auch wenn meine Arbeitsweise mir nun abgerundet erscheint, so bleiben noch Fragen offen. Jeder erfahrene Arzt, jeder routinierte Homöopath hat seinen eigenen Weg gefunden zu therapieren. So gilt es zu überlegen, ob die von mir vorgetragene Arbeitsweise Allgemeingültigkeit erlangen kann, oder ob sie nur mir auf den Leib geschnitten ist. Eine weitere Frage ist, ob dieses System, das ich mir Schritt für Schritt erarbeitet habe und mit dem ich regelrecht jonglieren kann (was nicht heißt, dass die Arbeit ein Kinderspiel ist), anderen Kollegen lehrbar ist und von diesen in einer zumutbaren Zeit umgesetzt werden kann.
Und eine letzte Frage bezieht sich darauf, dass ich in meinem Dualen System für jeden Patienten vier Mineralien ansetze, also vier Miasmen anspreche: Wo bleibt das fünfte Miasma aus der Reihe Psora, Tuberkulinie, Sykose, Syphilinie und Karzinogenie? Da sich, nach meiner Denkart, die Miasmen in ihrer Charakteristik überlagern, braucht es vielleicht kein Mittel für ein fünftes Miasma. Auch gelten manche als Intermediärmiasmen: Tuberkulinie = Psora + Syphilinie; Karzinogenie = Sykose + Syphilinie; decken also von sich aus schon zwei Miasmen ab.
Die Zugehörigkeit der Mineralien zu den jeweiligen Miasmen beschreibe ich übrigens in einer sogenannten Miasmenleiter:
Die hereditären chronischen Krankheiten
- Die fünf Erbmiasmen -
1. Die Psora.
Hauptmittel; Sulfur. Nosode: Psorinum.
Charakter: Mangel, Unterfunktion, Verzweiflung, juckende Hauterkrankungen.
2. Die Tuberkulinie.
Hauptmittel: Phosphor, Acidum phos., Calcium carbonicum, Calcium phos., Silicea. Nosode: Tuberculinum.
Charakter: Verausgabung, Erschöpfung, Formgebung. Organbezug: Atemwege, Stützgewebe.
3. Die Sykose.
Hauptmittel: Thuja, alle Natrium-Salze, Lycopodium, Sepia. Nosode: Medorrhinum.
Charakter: Übermaß, Übertreibung. Organbezug: Urogenitaltrakt.
4. Die Karzinogenie.
Hauptmittel: Alle Kalium-Salze. Nosode: Carcinosinum.
Charakter: Opfer, Unterordnung, Verdrängung.
5. Die Syphilinie.
Hauptmittel: Mercurius solubilis, Arsenicum album, Aurum sowie alle weiteren Metalle; Halogene (Chlor, Jod, Fluor, Brom). Nosode: Syphilinum (Luesinum).
Charakter: Zerstörung.
Organbezug: Zentrales und peripheres Nervensystem, oberflächennahe Schleimhäute (Merc.);
Respirationstrakt, Intestinum (Ars.);
Gemüt, Sinnesorgane, Herz, Gonaden, Knochen, Gelenke (Aur.).
Diese Salze zu finden geschieht in den meisten Fällen einfach durch das Kombinieren ihrer einzelnen Elemente. Und so stellt sich nicht selten die Frage, ob ich einer Person, die überzeugende Phosphor-Charakteristika aufweist, nun Natrium phosphoricum verordnen soll oder Kalium phosphoricum. Hier heißt es nun, einfach zu „machen“ und die Reaktion des Organismus zu verfolgen. War die Entscheidung für Nat-p. nicht richtig, dann signalisiert uns der Körper das schon und fordert von uns eine neue Weichenstellung. Wäre die andere Linie in diesem Fall Kalium sulfuricum, so kann es vorkommen, dass wir über Kreuz die Einzelelemente austauschen müssen. Oft ist die Symptomatik, die sich aus der Erstanamnese ergibt, so konfus, dass es von Anfang an gar nicht möglich ist, sich sicher für Sulfur, Arsen, Silicea o.ä. zu entscheiden. Der weitere Verlauf, oft auch eine akute intermittierende Krise, weisen uns schon den Weg, der manchmal noch nach 10 Jahren Betreuung korrigiert werden darf. Bis dahin muss der Patient natürlich längst einen Gewinn aus unserer Behandlung erfahren haben, aber es kann immer noch vorkommen, dass eine neue Symptomatik auftaucht, die uns eines Besseren belehrt und eine neue Entscheidung erfordert.
Das sind also die Salze, auf die ich mich in der konstitutionellen Behandlung zurückgezogen habe:
Die Arzneimittelbilder der Salze selbst haben noch zu wenig Keynotes, um sie mit Sicherheit bestimmen zu können, und in der Repertorisation, sei es per PC, sei es in der klassischen Methode per Hand, tauchen sie sehr spärlich auf, manchmal gar nicht. Im Folgenden versuche ich, die bedeutenden Spezifika zu skizzieren, denn wenn wir diese erfassen können, so wird unsere Verschreibung natürlich erheblich sicherer sein.
Natrium phosphoricum
Goldgelber Zungengrund; Schmerz rechtes Ileosacralgelenk (sehr unsicher, nur teilweise verlässlich); Sodbrennen (Hauptmittel); Candida-Vaginitis; retronasaler Katarrh nachts; Möbelstücke erscheinen in der Dunkelheit wie Personen.
Natrium sulfuricum
Kopfschmerz mit Beginn des warmen Wetters; Asthma und Pollinose (Hauptmittel), schlechter bei nass-kaltem Wetter; abschuppender Ausschlag der Handflächen; Diarrhoe mit Druck und Gas, Blähungen (Hauptmittel); Leber- und Galleerkrankungen; Varikosis und Thromboseneigung (Hauptmittel); Leukämie (Hauptmittel); wird von mir wie Lycopodium verstanden; Folgen von Kopfverletzungen.
Natrium silicicum
Kopfschmerz bei Wetterwechsel von warm nach kalt.
Natrium arsenicosum
Hier dominieren die Arsen-Eigenschaften: ängstlich, ernst, geizig, suizidal, pedantisch (muss nicht immer so sein!); Darmerkrankungen; Sepsis-Neigung; ein Spezifikum kenne ich nicht.
Mercurius chloratus natronatus
Meine einzige chronische Darreichungsform von Quecksilber (weil es keine Kalium- Verbindung von Mercurius gibt). Tremor, Lähmungen; Entzündungen oberflächennaher Schleimhäute, vor allem Stomatitis, Gingivitis. Es wäre sicher eine gute Arznei gewesen für einen AIDS-Patienten, der aber starb, längst bevor ich dieses Mittel fand.
Aurum muriaticum natronatum
Meine einzige Darreichungsform von Gold (aus dem gleichen Grunde wie bei Mercurius).
Kalium phosphoricum
Schwäche, Angst vor jeder neuen Herausforderung (die leichteste Arbeit erscheint eine schwere Aufgabe).
Kalium sulfuricum
Gilt als die chronische Pulsatilla, aber durstig und reizbar; schuppende Hautausschläge; wandernde Schmerzen, langsames Umhergehen bessert; frische Luft bessert.
Kalium silicicum
Keine Keynotes
Kalium arsenicosum
Ebenso
Kalium jodatum
Hyperthyreose, rascher Stoffwechsel mit Gewichtsabnahme trotz guten Appetits; tachykarde Herzrhythmusstörungen; neuralgische, bohrende oder ausstrahlende Schmerzen; Drüsentumore oder -Atrophie; Ischias nachts im Liegen, Ischias im Sitzen beim Vorbeugen; 5 Uhr; wundmachender Fließschnupfen; laryngealer Reizhusten, besser im Freien oder durch Trinken; Aneurysmen der Aorta, aber auch anderer Gefäße; destruktive Impulse, grausam gegen die Familie.
Kalium bichromicum
Punktueller, wandernder Schmerz; zähes Nasensekret (breit indiziert bei chronischer oder akuter Sinusitis), retronasaler Schleim, zähes gelbes Sputum, Druck an der Nasenwurzel; Ulcera wie ausgestanzt; Magenulcus oder Motilitätsstörung; Bier verschlimmert; 2 bis 3 Uhr, „zähe Fälle“.
Den Wert von Kali-bi. habe ich erst zuletzt erkannt, und ich muss gestehen, dass mir die Differenzierung zu Kali-j. noch Schwierigkeiten bereitet. Beide scheinen mir aber eine enorme Bedeutung in chronischen Fällen jeder pathologischen Tiefe zu haben. JH Clarke erhebt Kali-bi. sogar „zu einem der wichtigsten Mittel der homöopathischen Materia medica“!
Diese Liste werde ich nach und nach ergänzen, wenn die alltägliche Erfahrung neue Erkenntnisse bringt. Ich spreche aber auch gerne von einer 90%-Regel, welche besagt, dass diese Schlüsselsymptome zwar gut verlässlich sind, aber eine restliche Unsicherheit einkalkuliert werden sollte.
In der Literatur von Sankaran, Springer, Scholten werden zur Entscheidung für diese Arzneien sehr subtile Persönlichkeitsmerkmale und feine Empfindungsnuancen herangezogen. Das darf gewiss bedacht werden, ist mir aber zu unsicher und spekulativ, weshalb ich mich lieber auf konkrete körperliche Symptome, ja sogar auf harte klinische Diagnosen stütze, was in der Homöopathie nicht so beliebt ist. Aber eine Diagnose repräsentiert Art und Ort einer Erkrankung und leitet uns damit zum Miasma; ein Pankreas- Karzinom etwa ist Ausdruck von Syphilinie und Karzinogenie und findet vor allem in Kalium jodatum, einem Vertreter beider Miasmen, seine Antwort.
Gerade bei schweren Pathologien vermissen wir oft die Feinsymptomatik, die aber trotz meiner Skepsis eine Kernfunktion in unserer Heilmethode einnimmt – sofern wir sie denn sicher und ohne die Gefahr einer Fehlinterpretation wahrnehmen können. In der Tat aber tritt diese im Verlauf einer kontinuierlichen Betreuung immer mehr zutage. Und zu meinem Erstaunen legt uns ein länger behandelter Patient irgendwann ein so schlüssiges Beschwerdebild auf den Tisch, dass die nächste Entscheidung sich von selbst ergibt.
Der duale Weg deckt besser alle Aspekte eines Kranken ab als ein einzelnes Salz, geschweige denn ein Mineral alleine. Unnötig aber zu sagen, dass diese Salze nur das Grundgerüst der konstitutionellen Behandlung darstellen, dass aber Akutmittel, Zustands- und Kausalitätsmittel ebenso wie Nosoden zum richtigen Zeitpunkt unentbehrlich sind.
Bamberg, im Oktober 2022