Melanie stand schon als kleines Mädchen in meiner Behandlung; es war nicht wenig Arbeit, ihre gesundheitlichen Anfälligkeiten unter Kontrolle zu bringen. Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme, Menstruationsbeschwerden etc. konnten wir aber über die Jahre gut bereinigen. Nun, im Alter von 32 Jahren, nach Abschluss ihrer akademischen Berufslaufbahn, fand sie einen Partner und wurde bald schwanger, verlor das Kind aber in der Frühschwangerschaft durch einen intrauterinen Fruchttod unklarer Genese.
Solchen Frühaborten liegen meines Erachtens genetische Störungen zugrunde, die der Ausreifung eines gesunden, lebensfähigen Kindes im Wege stehen. Ganz überrascht hat mich das Ereignis nicht, denn über den Kindsvater lag mir die Information vor, dass er schon mal wegen Blasenkrebs behandelt wurde, worin ich eine hohe genetische Altlast sehe, nicht aber die besten Voraussetzungen für eine unkomplizierte Schwangerschaft.
Ein halbes Jahr später freute sie sich über eine erneute Schwangerschaft, über die sich allerdings wieder ein Schatten legte: in der Ultraschall-Untersuchung war zu erkennen, dass sich die Harnblase des Kindes nicht entleerte. Diese war so heftig gestaut, nahm so viel Raum ein, dass die Bauchorgane, vor allem aber auch die Lunge, kaum mehr Platz hatten, weil alles nach oben verschoben war.
Um das Leben des Jungen zu retten, entschloss man sich, die Harnblase in utero über einen Shunt zu entlasten. Zuvor hatte ich noch versucht, mit Medorrhinum C200 Hilfe zu geben. Wie ich in einem früheren Aufsatz berichtet habe, war es mir mit dieser Nosode gelungen, bei einem erwachsenen Patienten eine – trotz unauffälliger organischer Verhältnisse – völlig blockierte Harnentleerung rasch wieder in Gang zu bringen (Männermedizin-Medorrhinum, veröffentlicht in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung 2/2022 oder auf www.ernst-trebin.de). Darauf hoffte ich auch bei diesem Kind, dessen Harnröhre laut Sonografie regulär angelegt war.
Die Gabe half nicht wirklich, der Eingriff in der 17. SSW aber ermöglichte aber eine vollständige Blasenentleerung und das Kind entwickelte sich günstig. Ich versuchte mich weiterhin mit Thuja C200, einer Arznei, die ich gerne als Schleusenöffner bezeichne (und benutze). Dazwischen war noch der Mutter zu helfen mit Natrium phosphoricum C200, weil sich bei ihr eine nicht gekannte Blutungsneigung manifestierte.
In der 32. SSW kamen Zweifel auf, ob der Shunt noch funktioniere, in der 33. SSW bestätigte sich dies; er war verrutscht. Eine erneute Dosis Thuja, diesmal als LMK, änderte nichts daran, der Harnstau nahm wieder zu. Man plante, die Schwangerschaft noch solange wie möglich zu erhalten, und eine Geburtseinleitung oder Sectio unter sorgfältiger Kontrolle soweit wie möglich hinauszuschieben.
Eine Woche später griff ich noch einmal in einem Akt der Verzweiflung (aber Aufgeben ist meine Sache nicht) mit Medorrhinum C200 in das Geschehen ein. 10 Tage später: die Blase entleert sich! Und die Mutter hatte auch keine Blutungen mehr. Nun wartete man entspannt ab und gegen Ende der Schwangerschaft stellten sich regulär die Wehen ein. Leider ging der Muttermund nicht auf und nach 35 Stunden Wehen erlöste man Mutter und Kind mit einem Kaiserschnitt.
Der Junge ist gesund, er pinkelt spontan, der Shunt liegt noch in der Blase. Er muss demnächst operativ entfernt werden, dabei will man an einer Seite eine Harnröhrenschlitzung vornehmen, obwohl die Nieren nicht mehr gestaut sind, man will auch noch eine Circumcision machen, um die letzten Gefahren für einen Harnstau zu beseitigen.
In der Spezialklinik will man das Kind in eine Studie ähnlicher Fälle aufnehmen, sieht aber in ihm, so erzählte mir die Mutter, schon eine Ausnahme-Erscheinung gegenüber den anderen Beobachtungen. Also haben wir hier wahrscheinlich doch einen Erfolg der Homöopathie, denn eine spontane Ausreifung, so mein kritisches Resümee, scheint wohl nicht die Norm zu sein.
Bamberg, im Januar 2024