Nosoden sind merkwürdige Arzneien, und für einen Nichthomöopathen wirkt es sicherlich irritierend, dass diese aus Krankheitsprodukten gewonnenen Medikamente eine arzneiliche Wirkung entfalten sollen. Gottlob sind sie hoch potenziert, d. h. in unendlich verdünntem Zustand, wenn wir sie verabreichen.
Bei Psorinum sind es die Schuppen krätzekranker Haut, bei Tuberculinum der Eiter einer tuberkulosekranken Lunge, bei Medorrhinum der eitrige Ausfluß eines Tripperkranken, bei Syphilinum das Wundsekret des harten Schankers und bei Carcinosin schließlich das Krebsgewebe, aus dem die Arznei gefertigt wird.
Zieht man aber in Betracht, dass bei den ersten vier der genannten fünf wichtigsten Vertreter dieser Arzneigruppe ein Infektionsgeschehen den Beginn eines dauerhaften Leidens darstellt, so kommt man dem Verständnis schon näher. Der primären Affektion, also dem Zusammenspiel von Krankheitserregern und der entzündlichen Reaktion des Organismus, folgt im weiteren Krankheitsverlauf eine Kaskade von Beschwerdebildern nach und es entfaltet sich schließlich ein Strauß von Krankheitssymptomen. Sie betreffen nicht nur den aktuell Erkrankten, dem sich hiermit ein spezifisches Miasma einprägt, sondern auch, wie wir wissen, seine Nachkommen, die unter einem hereditären Miasma leiden werden. Miasma steht für Befleckung und bedeutet eine chronische Unterminierung der gesundheitlichen Verfassung.
Dies ist eine Modellvorstellung der Homöopathie, basierend auf der Psora-Lehre von Samuel Hahnemann, die sich wiederum von seinen Beobachtungen der Syphilis ableitet, einem Leiden, das zur damaligen Zeit weit verbreitet war. Ob tatsächlich das Miasma auf dem Weg einer akuten Infektion erworben wird – manche Beobachtung spricht sehr wohl dafür – oder ob diese Miasmen Grundlinien animalischer (bei Mensch und Tier!) Erkrankungsmuster individuell unterschiedlicher Ausprägung sind, das sei dahingestellt. Mit Sicherheit lässt es sich aber mit diesen Strukturen hervorragend arbeiten.
Aus dieser Sicht erscheint es also folgerichtig, dass im Verlauf der Therapie eines miasmatisch Geprägten das initiale Agens, zubereitet und dynamisiert zur Nosode, eine homöopathische Wirkung auf den Verlauf der Behandlung entfalten kann, im Sinne eines Antagonisierens des zugrunde liegenden Übels. Wie verhält es sich aber mit Carcinosin? Eine erhöhte familiäre Belastung durch Krebsfälle mag noch den Simile-Charakter erkennen lassen, reicht aber nicht aus als Erklärung bei Patienten, denen allein eine entsprechende Biographie die Zuordnung zum Krebs-Miasma verpasst hat.
Hierzu versucht mein Aufsatz eine Antwort zu geben. Und das zweite Anliegen ist, die Verknüpfung von Carcinosin mit den Kalium-Salzen zu begründen, welche in meiner homöopathischen Arbeit zu einer festen und verlässlichen Grundlage geworden ist.
Das Krebsmiasma, also die Karzinogenie, nährt sich aus zwei wesentlichen Quellen: Zum einen ist dies das Vorkommen von Krebs-Fällen unter den Verwandten, vor allem dann, wenn eine auffallende Häufung zu finden ist. Zum anderen können belastende biografische Erfahrungen das Krebsmiasma einprägen.
Das sind vor allem Vorgänge, welche die freie und unbekümmerte Entfaltung eines Menschen in Zeiten seiner Reifung behindern. Betroffen sind Kinder etwa, die sehr frühzeitig unangemessene Verantwortung für die Familie übernehmen müssen, weil z.B. die Eltern überlastet sind oder durch Krankheit ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können; Kinder, die für die Eltern selbst Verantwortung übernehmen, weil diese psychisch zerstört sind, durch Suchterkrankungen etwa, oder weil sie durch eheliche Streitigkeiten oder Trennungsprozesse aufgerieben sind und durch ihre Hilflosigkeit ihre Kinder zur Fürsorge nötigen, was die Psychologen Parenterifizierung nennen; Kinder, deren Eltern wegen Krankheit besondere Rücksichtnahme verlangen; Kinder und junge Menschen, die Opfer von psychischen Grausamkeiten geworden sind, von Traumatisierungen, die man nur durch Verdrängen aller Emotion überstehen kann, im Elternhaus, in Heimen, in Kriegen, bei Flucht und Vertreibung; Kinder und Jugendliche schließlich, die durch Gewalterfahrung oder sexuellen Missbrauch eine tief greifende Form von Entwürdigung erfahren haben. Konditionelle Liebe, also Wertschätzung nur dann zu erfahren, wenn man den Erwartungen anderer, beispielsweise der Eltern, entspricht, ist auch eine Ursache der karzinogenen Prägung ebenso wie die zeitige Konfrontation mit der Erkenntnis, eventuell schon vorgeburtlich im Falle einer unerwarteten Schwangerschaft, dass man unerwünscht ins Leben tritt.
Die Folge solcher Erfahrungen sind bestimmte Prägungen der Betroffenen wie etwa mangelnde Eigenliebe, Überangepasstheit, Unterwürfigkeit und unangemessene Opferbereitschaft, ein hoher Leistungsanspruch an sich selbst als Quelle der Daseinsberechtigung, ein andauerndes Ringen nach Anerkennung, übermäßige Ernsthaftigkeit und eine kämpferische Grundhaltung an allen möglichen Fronten bis hin zur Selbstaufgabe, unangebrachte Schuldgefühle, auch Autoaggression wie etwa eine Anorexie. Zum Bild der Karzinogenie gehört auch die Suche nach Grenzerfahrungen ebenso wie eine auffallende Ästhetik oder Sinnlichkeit, schließlich auch ein starkes Mitgefühl und Mitleiden.
Die andere Seite der Medaille ist aber auch ein rebellisches Auftreten, meist aber gegen das falsche Objekt. (So manche Ehe sah ich zerbrechen, wobei der trennende Impuls von Frauen ausging, deren Biografie von einem problematischen Elternhaus geprägt war.) In seiner destruktiven Kraft steht dieses Miasma der Syphilinie nicht fern, auch in Gestalt gewisser Zwanghaftigkeiten, etwa in der Furcht vor Krankheit oder Ansteckung.
Schwere, lebensbedrohliche Erkrankungen in jungen Jahren kennzeichnen das Krebsmiasma, andererseits aber auch das späte, erst das Erwachsenenalter betreffende Durchleben von Kinderkrankheiten oder deren wiederholtes Auftreten. Entwicklungsstörungen und schwere Schlafprobleme bei Kindern fallen in diesen Formenkreis, letztere vielleicht zu verstehen als Ausdruck einer Furcht vor einem Grauen, welches das Unterbewusstsein bereithält, sobald man ihm im tiefen Schlaf ausgeliefert ist.
Die letzte Konsequenz ist das Auftreten einer Krebserkrankung, also der Bereitschaft des Körpers zur Selbstvernichtung. Gibt es also so etwas wie eine Krebspersönlichkeit? Die Forscher in Medizin und Psychologie verneinen dies. Ich befürchte aber, dass Statistik eine derart subtile Frage nicht wird klären können.
Krebs ist sicherlich ein uneinheitliches Geschehen und aus meiner Sicht mehreren Miasmen zuzuordnen. Es gibt überwiegend sykotische Formen, die man auch als Haustier-Krebs bezeichnen kann, da sie den Betroffenen nicht das Leben kosten. Beim Prostata-Krebs kennt man das, beim Mamma-Carcinom darf man es vermuten. (Jüngste Forschungen, die sich kritisch mit dem Mammografie-Screening auseinandersetzen, verweisen auf 30% überflüssige Behandlungen von Tumor-Trägerinnen, weil deren Karzinom nie spontan manifest geworden wäre, geschweige denn zum Tod geführt hätte.)
Ich nehme an, dass die Pathologen anhand einer Gewebeprobe darüber keine Aussage treffen können, da ein lokaler Tumor ebenso wie seine Metastasierung Ausdruck einer Systemerkrankung sind. Nicht die mechanische Streuung einer Krebszelle macht es meines Erachtens aus, wenn ein Tumor in Knochen- oder Gehirngewebe streut, sondern die Bereitschaft des Organismus, die Erkrankung in diesen Strukturen fortzuführen. In diesem Falle möchte ich von einer Syphilinie ausgehen, die dem Befall solcher Organe Vorschub leistet. In der Konsequenz heißt dies, dass wir Homöopathen bei der Behandlung Tumor-Kranker sehr sorgfältig differenzieren müssen.
Fest steht, und diese Behauptung beruht auf zahlreichen Beobachtungen, dass dem Ausbruch von Krebs sehr oft lang dauernde Belastungen vorausgehen, seien es seelische Dramen wie etwa eine Trennung oder Scheidung, seien es lange Erschöpfungsphasen durch berufliche oder private Verausgabung, etwa durch eine lange aufopfernde Pflege von Angehörigen.
Hier kann man den Geist der Karzinogenie vernehmen, denn wer dessen Prägung in sich trägt, ist eben mehr gefährdet, sich im Dienste anderer zu verausgaben, seine eigenen Bedürfnisse zu übergehen und sein Kräfte-Konto zu überziehen. Und in dieser Konstellation vermag ich eben doch die Existenz einer Krebspersönlichkeit vermuten – was freilich nicht allen Krebserkrankten zu eigen sein muss.
Sinnbildlich scheint mir die Vita einer Menschenrechtlerin zu sein, deren Interview ich jüngst in einer Zeitung las. In ihrem grenzenlosen Engagement betreute sie nach vielen anderen Einsätzen zuletzt kriegstraumatisierte Kinder in ihrem eigenen Haus in Kroatien, um schließlich nach Deutschland zurückkehren zu müssen — wegen einer eigenen Krebserkrankung, wie am Schluss des Artikels vermerkt war. Inzwischen ist sie verstorben.
So gesehen, kann ein Karzinom das Resultat einer Persönlichkeitsstruktur sein, der es erfolgreich eingeimpft oder aber als Erbe mitgegeben wurde, die eigenen Bedürfnisse zu sehr zu vernachlässigen. Und hier, das macht den Unterschied zu den anderen vier chronischen Miasmen aus, gewinnen wir die Nosode, also die Arznei, nicht aus dem Ursprung der Krankheitskaskade, sondern aus deren Endprodukt, dem Tumor nämlich! In ihm kumuliert sich möglicherweise der Geist einer ungesunden Lebensführung und macht ihn zur Ausgangssubstanz einer wichtigen homöopathischen Arznei.
Die chinesische Medizin kennt einen blumigen Ausdruck etwa für das Mamma-Karzinom, sie spricht von “gefrorenen Gefühlen”.
Die eigenen Gefühle zu vernachlässigen, richtiggehend zu unterdrücken, das ist es, was auch dem Arzneimittelbild von Kalium carbonicum zu eigen ist, welches stellvertretend auch für die anderen Kali-Salze steht. Der Typus von Kalium carbonicum gilt als rational, verkopft und scheint gerne höheren Weisungen zu folgen. Somit darf er auch als loyal, pflichtbewusst und unterordnungsbereit gesehen werden. Die Folge ist, dass die eigenen Gefühle und Bedürfnisse weniger wahrgenommen und weniger ausgelebt werden. Anstelle von Emotionalität steht Sachlichkeit. Der Zugang zu den eigenen Gefühlen scheint ein wenig vermauert zu sein und Situationen, die stark gefühlsbetont sind, sind nicht die Domäne des Kali-Patienten; Partnerschaft und Intimität leiden darunter, weil die Gefühlskontrolle zu mächtig ist.
Neben der Möglichkeit, dass diese Art der Gefühlsverdrängung anlagebedingt sein kann, ebenso wie der Carcinosin-Charakter anlagebedingt sein kann, so mag solches Verhalten aber auch Produkt von stark traumatisierenden Lebensumständen sein – auch hier der Entstehung der Carcinosin-Mentalität vergleichbar. Unter unerträglichen Lebensumständen, z. B. bei Misshandlung durch Personen des näheren Umfeldes, die eigentlich für den Schutz des Kindes zuständig wären, kann es zur “Überlebensstrategie” werden, “dass der Körper die Wahrnehmung von Gefühlen abschaltet, um nicht mehr spüren zu müssen, was nicht aushaltbar ist”. “Dissoziation” nennen das die Psychologen, wie der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Brisch in einem Interview ausführt (Süddeutsche Zeitung; 184/2007).
Vor einigen Jahren brachte das Magazin “Der Spiegel “ (49/2003) einen Aufsatz über die sogenannte Alexithymie. Dies ist die Bezeichnung für den Zustand mancher Menschen, die keine Gefühle wahrnehmen können, also weder Freude noch Trauer. Den Betroffenen selbst, so formulierte es dieser Aufsatz, macht dies weniger Beschwerden, hingegen würden ihre Lebensgefährten wesentlich mehr darunter leiden.
Neurophysiologische Untersuchungen konnten ermitteln, dass die betroffenen Personen durchaus emotionsgeladene Situationen wahrnehmen, die davon ausgehenden Nervenimpulse werden, wie man nachweisen konnte, an das Frontalhirn weitergeleitet. Dort verschwinden sie dann, gewissermaßen ausgelöscht, anstelle an die Zonen der emotionalen Reaktionen im Stammhirnbereich weitergeleitet zu werden. Nun ist das Frontalhirn Sitz der Ratio, der Emotionskontrolle, wie sie im Laufe der Sozialisation eines Menschen eintrainiert wird.
Offensichtlich ist diese Kontrollfunktion bei scheinbar gefühlsarmen Menschen so übermächtig, dass sie negative wie positive Gefühle auslöschen kann. In der Tat ist die Physiognomie eines Kalium-Patienten oft dadurch gezeichnet, dass er eine auffallend hohe Stirn und sehr schwere Oberlider aufweist, wo sich sogar gelegentlich Wassersäckchen oder Ödeme bilden. Anscheinend ist der Energiestau in diesem Frontalhirnbereich besonders ausgeprägt. In Science-fiction-Filmen tauchen sogar roboterhafte Gestalten auf, welche nichts anderes zu leisten vermögen als optimal zu funktionieren, denen die Hirnwindungen überdeutlich auf die Stirn gezeichnet sind. Künstler, die solche Filme gestalten, haben offenbar intuitiv die Verknüpfung von Frontalhirn und hoher Rationalität erfasst.
Die Neurophysiologie sieht ein Versickern emotionaler Impulse im Frontalhirn-Bereich. Dennoch scheint diese Information nicht ganz verloren zu gehen, denn das Kalium-Naturell kennt zwar weniger Emotionen, dafür aber eine Neigung zum Somatisieren, d. h. dass belastende Erfahrungen sich rasch niederschlagen in Form körperlicher Erkrankungen. (Herzhaftes Fluchen hingegen lindert Schmerzen, erkannte jüngst ein Forscher und bewies damit, dass es gesünder ist, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.)
Kalium-Patienten neigen zu erhöhem Muskeltonus im Körper mit der Folge destruierender, arthrotischer Gelenkserkrankungen, der Neigung zu Muskelfaserrissen oder der Manifestation einer Fibromyalgie. Eine andere Charakteristik sind Störungen des Schlafes in der Phase des tiefsten Einsinkens in das Unterbewusstsein, typischerweise zwischen 2.00 Uhr und 4.00 Uhr nachts. Das Unterbewusstsein hat offensichtlich die negativen Erfahrungen, die möglicherweise sogar ererbt sein können, gespeichert, und auch hier vermeidet der Organismus eine Begegnung und bricht den Schlaf ab. Vielleicht wird das Eintauchen in das tiefe Unterbewusstsein und die Konfrontation mit den gespeicherten Emotionen als Bedrohung empfunden. Schlimme und bedrohliche Traumerlebnisse wurden mir öfter von Kalium-Patienten berichtet.
Die permanente Emotionskontrolle und hohe Angespanntheit verbrauchen viel Energie, was erklären könnte, weshalb der Kalium-Zustand oft mit einer tiefen Erschöpfung einhergeht. Die gelegentlich beobachtete Übergewichtigkeit eines Kalium-Patienten kann durchaus als Panzerung gegen Gefühlseinflüsse bewertet werden.
Mir erscheint es schlüssig, dass die Kali-Salze eine gute Ergänzung zum karzinogenen Miasma darstellen, nicht nur das bereits erwähnte Stammsalz Kalium carbonicum, noch mehr Kalium phosphoricum, das schon William Boericke den Krebserkrankungen zugeschrieben hat, ebenso Kalium arsenicosum, dem Vermeulen eine wichtige Funktion bei Krebserkrankungen zuordnet. Auf diesem Weg der Mittelfindung über das karzinogene Miasma stoße ich auch oft auf Kalium sulfuricum, zu dessen Entscheidung ein gehäuftes Vorkommen von Pulsatilla- oder Sulfur-Qualitäten führt. Weitere interessante Kalium-Salze sind Kalium silicicum und Kalium muriaticum bzw. Kalium chloratum.
Es ist aber Aufmerksamkeit und Differenzierungsvermögen nötig, denn keinesfalls jeder Patient mit einer Vorgeschichte von Unterdrückung oder anderen belastenden Bedingungen in der Kindheitsperiode braucht Carcinosin oder ein Kalium-Salz. Wenn uns Patienten von traurigen Erfahrungen berichten, so müssen sie nicht unbedingt in ihrem seelischen Erleben die genannte tiefe Prägung erfahren haben. Meistens liegt dann doch lediglich eine Einfärbung durch traumatische Erfahrungen vor und ein mögliches Festhalten an vergangenem Kummer im Sinne der Natrium-muriaticum-Konstitution, was dann besser mit einem Natrium-Salz beantwortet wird. Wenn jedoch die Traumatisierung früh einsetzte, das Verhalten nachhaltig prägte oder gar verdrängt wurde, dann liegt der Verdacht an eine Carcinosin-/Kalium-Problematik doch sehr nahe.
Zu bedenken ist ferner, dass der Patient, dessen Jugend überschattet war von einem problematischen Elternhaus, vielleicht von einer Suchterkrankung der Eltern oder von Gewalterfahrungen innerhalb der Familie, auf dem Weg über die Genetik seinerseits das syphilitische Miasma in sich trägt und somit eher eine Gold-, Quecksilber- oder Arsenarznei braucht.
Die Zahl der Carcinosin-/Kalium-Patienten ist bei weitem nicht so hoch, wie es traurige Schicksale gibt; die für das karzinogene Miasma spezifische Reaktion trifft nur auf einen Teil der Leidenden zu. Gerade in der Praxis eines Homöopathen treten sie noch seltener auf, weil diese Therapieform ihrem rationalen Denken eher nicht entspricht und weil die Homöopathen mit ihrem ganzheitlichen Handeln ihnen möglicherweise zu nahe treten. Meine Lehrer haben die Kalium-Patienten gelegentlich als die typischen Therapie-Abbrecher bezeichnet. Sie kommen oft zur Erstanamnese mit langen Listen ihrer Diagnosen und Stapeln von Facharzt- und Klinikberichten und reagieren dann überrascht und sogar abwehrend, wenn wir anfangen, uns mehr für ihre Person zu interessieren als für ihre Laborwerte.
Tatsächlich bleiben sie oftmals nicht lange in unserer Behandlung, und mit diesem Anziehen und wieder Verstoßen ähneln sie den Borderline-Patienten, denen diese Arzneimittelkombination auch helfen könnte, schließlich haben sie auch überwiegend Missbrauch und Misshandlung erfahren.
Und noch eine Beobachtung: Die Behandlung mit Carcinosin und Kalium-Salzen scheint in nicht wenigen Krankheitsfällen nur über einen begrenzten Zeitraum wirkungsvoll, vornehmlich als Einstieg in die homöopathische Kur, um später zu einem Therapiewechsel v. a. zu sykotischen oder syphilitischen Arzneien zu führen. Diese Miasmen stehen der Karzinogenie nahe. Peter Gienow spricht von der Karzinogenie sogar als einem Intermediär-Miasma zwischen Sykose und Syphilinie.
Meine hier vorgetragenen Ausführungen enthalten gewiss spekulative Elemente; sie beinhalten reichlich psychologische Beobachtungen und eher weniger die Ergebnisse von Arzneimittelprüfungen. Mir helfen aber die geschilderten Verknüpfungen sehr wohl in meiner täglichen Arbeit. Wenn ich in der Anamnese die angeführten Wesensmerkmale heraushöre, wenn die Repertorisation vermehrt Carcinosin oder Kalium carbonicum aufführt, dann lenkt mich dies gerne zur Verordnung eines Kalium-Salzes, z.B. Kalium phosphoricum, etwa wenn gleichzeitig vermehrt Phosphor-Elemente anklingen. Bestärkt werde ich in meiner Entscheidung für ein homöopathisches Arzneimittel aber ebenso durch verwertbare körperliche Symptome. Allerdings legt sich mir die miasmatische Prägung wie ein Grundgerüst unter meine Repertorisationsarbeit.
Nosoden heilen jedoch einen Fall nicht alleine, aber sie geben oft den nötigen Impuls, wenn die mineralische Arznei, der ich die Hauptverantwortung für die Lösung chronischer Leiden einräume, Unterstützung braucht, was meistens von Nöten ist. Beides muss zur Anwendung kommen bei der Therapie chronischer Krankheiten, und man ist m.E. gut bedient, wenn man auf Assoziationen der beschriebenen Art zurückgreifen kann.
Bamberg, im Oktober 2010