Dr. Ernst Trebin

Allgemeinmedizin - Homöopathie

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„Niemals den Patienten frei erzählen lassen“

… so lautete die provokante Überschrift eines Interviews in der Süddeutschen Zeitung vom Samstag, 5. Oktober 2024. Befragt wurde die Psychologin Maggie Schauer, Autorin des Buches „Die einfachste Psychotherapie der Welt“, gleichfalls ein mutiger Titel, wie die Zeitung anmerkte.

Wird uns Ärzten doch mit Recht vorgehalten, wir würden den Patienten schon im Durchschnitt nach 18 Sekunden unterbrechen, um selbst das Wort zu ergreifen. Und ist es doch gerade für uns Homöopathen unverzichtbar, den Patienten ausreden zu lassen, um möglichst viel über ihn zu erfahren. Für uns sind eben nicht nur die messbaren Fakten oder die harte, konkrete Diagnose wichtig, um eine Therapie zu starten, sondern in besonderem Maße seine subjektiven Befindlichkeiten; warum also sollen wir ihn unterbrechen?

Frau Schauer hat mit ihren Kollegen Thomas Elbert und Frank Neuner die sogenannte Narrative Expositionstherapie (NET) entwickelt, um vor allem traumatisierten Patienten zu helfen. Das Konzept dahinter ist der Versuch, den Patienten dabei zu unterstützen, seine seelischen Wunden Schritt für Schritt zu verarbeiten. Ihn eben auserzählen zu lassen über das ganze Konglomerat seiner schmerzhaften Erfahrungen, brächte ihn in die Gefahr massiver panischer Reaktionen durch eine Reaktivierung seiner Not. Häppchenweise ihn an seine Schicksalsschläge heranzuführen, zur rechten Zeit aber in die Gegenwart zurückzuholen, soll ihm ermöglichen, nur soviel zu verdauen, was er schafft, ohne die Fassung zu verlieren. Mir scheint, dass das Erzählen des Erlebten tatsächlich sehr heilsam ist, nicht nur als Binsenweisheit gesehen, weil damit ein Bedürfnis erfüllt sein mag, sondern weil es wirklich hilft, altes Leid abzulegen, sich zu befreien.

„Okay, stellen wir uns eine Allgemeinpsychiatrie vor, in der sich Menschen mit Depressionen befinden, mit Angsterkrankungen, Essstörungen, Borderline-Syndrom und so weiter“, wirft die Interviewerin ein. „Auf solchen Stationen treffen Sie praktisch niemanden, der keine Traumata erlebt hat“, antwortet die Psychotherapeutin. Tatsächlich sehe ich das auch in meiner Praxis nicht anders, nur dass auch in aller Regel Patienten mit schweren körperlichen Krankheiten wie MS, Asthma, Rheuma, chronische Migräne u.v.a.m. mit einer traumatisierten Biografie aufwarten können. Das Ungelöste gärt im Untergrund weiter und unterminiert auch die körperliche Gesundheit.

Ich habe schon an anderer Stelle die Differenzierung in ein „Schocktrauma“ und ein „Erziehungstrauma“ erwähnt. Unter ersterem versteht man etwa einen Verkehrsunfall, ein Attentat, Kriegerlebnisse, aber auch Vergewaltigung und andere erfahrene Übergriffe. Das Erziehungstrauma ist eher die normale Sozialisation, welche uns lehrt, zugunsten einer Gesellschafts-Verträglichkeit unsere eigenen spontanen Bedürfnisse hintanzustellen, in krankmachender Form allerdings auch ein Aufwachsen mit unangemessener vorzeitiger Verantwortungsübernahme und Unterdrückung einer freien, unbekümmerten Entfaltung. Schwerwiegend sind hier Formen der Vernachlässigung, von Liebesentzug, von der Verweigerung eines vorbehaltslosen Angenommenseins. Ich habe hierzu schon Vieles geschrieben, vor allem in meinem Aufsatz über Carcinosinum und die Kali-Salze.

Für akute seelische Verletzungen haben wir Homöopathen ein gutes Arsenal, um den Patienten vom Erlebten Anstand gewinnen zu lassen und auch vor somatischen Reaktionen zu schützen, auch wenn diese noch nach Jahren zuschlagen können: Aconitum, Chamomilla, Gelsemium, Ignatia, Opium, Staphisagria oder Stramonium, um die wichtigsten zu nennen.

Bezeichnend für die Reaktivierung psychischer Not ist der Fall einer jungen Frau von 20 Jahren. Sie kam wegen Panikattacken in Behandlung, und zum Hintergrund war zu erfahren, dass sie seit Kindheit sehr betroffen war vom Alkoholismus ihres Vaters. Sie engagierte sich sehr für ihn, erlebte naturgemäß aber immer wieder Enttäuschungen und wandte sich schließlich von ihm ab. Eines nachts wurde ich zu ihr gerufen, nachdem sie erneut in eine Panikattacke verfallen war. Ich fand sie in einer Art Schreckstarre vor, kaum anzusprechen, und behalf mir zunächst mit einer Tablette Tavor®, was sie schließlich auch in einen guten Schlaf brachte. Bei der Rückschau ergab sich folgendes Bild: Sie war an jenem Abend mit ihrer Familie zu einer Hochzeit eingeladen und traf dort auch einen Verwandten, den sie, geschult aus den Erfahrungen mit ihrem Vater, als Alkoholiker identifizierte, obwohl er abstinent lebte und auch an diesem Abend keinen Alkohol konsumierte. Aber allein die Konfrontation mit dieser Krankheit löste bei ihr einen tiefen Schrecken und Panik aus. Nun findet sich im Synthetischen Repertorium die Rubrik Furcht, nach einem Schreck, wenn die Furcht vor dem Schreck zurückbleibt, oder anders ausgedrückt in Der Neue Clark: Nach dem Schreck bleibt die Furcht durch den Schreck bestehen (mit Verweis auf Constantin Hering) - eine umständliche Formulierung, die ich so interpretiere, dass allein die Erinnerung an ein schreckauslösendes Erlebnis erneut Panik verursachen kann. Und in dieser Rubrik und unter dieser Beschreibung findet sich Opium. Seit ich ihr Opium gab, bisher zweimal in C200, kam es zu keinem Rückfall mehr, auch nicht nach einer erneuten Begegnung mit ihrem Vater.

Das ist, wovor die Narrative Expositionstherapie die Patienten bewahren möchte, nämlich bei der Begegnung mit alten Traumata in Panik zu verfallen, in diesem Opium-Fall in Form von Apathie und Somnolenz. Es hat aber jedes unserer erwähnten Akutmittel sein eigenes Bild der Reaktion, die zu analysieren für uns wichtig ist, um helfen zu können.

Dieser Tage ließ ich einem Hund eine Dosis Stramonium C200 zukommen. Er fiel mir durch sein aggressives Bellen gegenüber fremden Personen auf. Er stammt aus einer Hundeauffangstation in Griechenland und trägt ein paar Schrotkugeln im Leib. Auf ihn war geschossen worden; er überlebte, sein Freund nicht. Auch hier liegt eine klare Indikation für ein Traumamittel vor, ob es hier hilft, muss sich aber erst noch zeigen. Und so gäbe es sehr viel zu diesem Thema zu berichten.

Angesichts der chronisch Traumatisierten, sei es wegen problematischer Herkunftsbedingungen oder nur infolge der normalen Sozialisation habe ich den Schluss gezogen, dass jeder Mensch ein Kali-Salz brauchen kann. Es soll die anerzogene oder Erlebnis-bedingte Kontrolle über seine Emotionen verringern, so dass er sich seiner Gefühlslage besser öffnen und seine Bedürfnisse zunehmend besser wahrnehmen kann, somit auch sukzessive Zugang zu verdrängten Erfahrungen findet, welche im Untergrund schwelen und seiner Psyche ebenso wie seinem Körper Schaden zufügen. Dass die homöopathischen Kali-Salze in der Lage sind, auch seine körperlichen Spannungen abzubauen und damit Folgeerscheinungen wie Arthrosen, Bandscheibenschäden oder Herzschwäche zu mildern, rundet das Bild vom Nutzen dieser Substanzgruppe ab.

Das ist das gleiche, was Maggie Schauer in ihren Sitzungen macht, nämlich den Tresor zu öffnen, in dem die Erfahrungen eingebunkert sind. Danach ist es ihre Aufgabe, dem Patienten beizustehen, das Trauma zu verarbeiten. Und bei uns Homöopathen erledigen das die Natrium-Salze, die für den Patienten hilfreich sind, das Erlebte zu verzeihen. Somit finde ich in diesem psychotherapeutischen Konzept eine gute Begründung für das, was ich den dualen Weg nenne, den parallelen Einsatz von homöopathischen Kalium- wie Natrium-Salzen.

Sobald ich den Patienten und seine Geschichte verstanden habe, kommt natürlich auch bei mir das Wort zur Geltung.

Bamberg, im Oktober 2024

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