Als ich noch eine Kassenpraxis betrieb, von 1985 bis 1997, war ich ein richtiger Familienarzt, meine Patienten kamen mit allen möglichen Anliegen zu mir, auch solchen, die nicht unbedingt in meiner Zuständigkeit lagen. Aber ich war Internist, Chirurg, Orthopäde, Psychiater, Gynäkologe, Geburtshelfer und Kinderarzt. Ich war jung und meine Patienten auch. Aber vor den kleinen Kindern hatte ich Respekt, denn oft waren sie ängstlich und widerspenstig und forderten viel Geduld. Nicht ohne Grund bietet die ärztliche Gebührenordnung eine besondere Honorarposition für die Untersuchung von Kindern unter 4 Jahren. Ich konnte mir nicht vorstellen, als Kinderarzt – männlich und ohne das mütterliche Gen besonderer Geduld –, den ganzen Tag mich mit dieser Klientel zu befassen. Aber ich nahm deren Behandlung immer sehr ernst, denn was ich in diesem Alter Gutes tun kann, das wirkt sich auf ein ganzes Leben aus.
Nun bin ich um einige Jahre älter, und auch meine Patienten sind mir in dieser Hinsicht gefolgt. Wenngleich ich nach wie vor keine Geriatrie betreibe, so häufen sich doch die Probleme mit der Prostata, den Gelenken, dem Bluthochdruck und den Augen. Die mittlere Generation hat sich ein wenig verdünnt – aber vermehrt! Und damit bekomme ich plötzlich wieder eine ganze Reihe von Kleinstlebewesen in meine Behandlung. Ich behandle jetzt wieder eine respektable Zahl von Kleinkindern mit durchaus ernsthaften Beschwerden.
Der Umgang mit ihnen hat sich aber gewandelt. Wir erleben bei der gegenwärtigen Elterngeneration ein erstaunlich harmonisches Verhältnis zu ihren Kindern, eine ungetrübte Einheit der Kinder mit ihren Müttern, ebenso wie mit ihren Vätern. Sollten die Schatten früherer Erziehungsmethoden, denen eine gewisse Distanz zu eigen war, getilgt sein? Auch die gegenläufige Furcht vor Erziehung, die manche Verhaltensstörung aufkommen lässt, scheint einer gesunden Vorbildfunktion gewichen zu sein.
Und so kommt es, dass heute die Kleinen mein Sprechzimmer meist völlig unbefangen und angstfrei betreten, geborgen auf dem Schoß ihrer Eltern mich mit großen Augen aufmerksam mustern, dankbar ihre Globuli annehmen und sich mit einem freundlichen Winken verabschieden. Gewiss, die Eltern kommen schon entspannter zu mir, die Kindern spüren das, und sie merken auch, dass ich sie sehr ernstnehme und alles vermeide, was Angst oder Schmerzen verursacht. Auch aus diesen Gründen mag ich die Impfungen nicht, abgesehen davon, dass ich nicht viel davon halte.
Nicht zu unterschätzen ist auch, dass auch ich mich unerschrocken den Kindern nähere, mich gegebenenfalls entschlossen über ein Gezetere hinwegsetze, wenn etwas zu tun ist, was getan werden muss, etwa die Lunge abgehört oder die Ohren inspiziert werden müssen. Diese Art von Autorität hat auch etwas Beruhigendes an sich, vermittelt den Kindern eine gewisse Sicherheit. Und haben sie einmal erlebt, dass ihnen nichts Unangenehmes geschehen ist, so ist auch das Eis gebrochen.
Mit der mir eigenen Arbeitsweise konnte ich bei diesen Kleinen viel Gutes erreichen, mit den Salzen, die ich für lebenslang gültige Konstitutionsmittel halte. Und das Schöne daran ist, dass sie in dem frühen Alter prompter wirken und ihre Aufgabe schneller erfüllen als wenn die Pathologie schon viele Jahrzehnte währte und das Leben schon einige Scharten hinterlassen hat. Die Mittelfindung ist aber nicht leicht, denn das Kind kann uns nicht mitteilen, was in ihm vorgeht; wir sind nur auf Beobachtungen angewiesen, auf Erscheinungen, die uns die Eltern berichten oder die wir selbst am Kind erkennen. Hilfreich ist aber auch, wenn wir die Strukturen der Eltern schon erfassen konnten.
So kam jüngst eine junge Mutter, die ich selbst schon seit Kindheit betreute, mit ihrem Nachwuchs. Florian hatte eine massive Schlafstörung und man hatte sich angewöhnt, sich um 2 Uhr nachts anzuziehen und ihn zwei Stunden lang im Auto herumzufahren, bis er wieder in den Schlaf fand. Die Uhrzeit (Kalium carbonicum) und die Beobachtung langer Wimpern (Phosphorus) führten mich zu Kalium phosphoricum. Gegeben in C200 war binnen 3 Tagen das Durchschlafen wiederhergestellt, und zwar so gründlich, dass ich vorerst keine weitere Gabe verabreichte, gemäß Hahnemanns Gebot, im Falle einer guten Wirkung nichts weiter zu tun. Erst bei einem Rückfall empfahl ich die Wiedervorstellung.
Ella wurde mir im Alter von 8 Monaten anvertraut, auch weil ihre Großmutter schon viele Jahre von mir wegen ihres Morbus Crohn gut behandelt wurde. Ella leidet unter einer schweren Neurodermitis; diese hätte begonnen nach Einführung der Beikost. Eine klar identifizierte Nahrungsmittelunverträglichkeit war allerdings nicht zu erkennen. Ellenbeugen, Kniekehlen, Bauch, Rücken und äußerer Gehörgang waren von den Ekzemen befallen, sie kratzte sich blutig, vor allem am Abend. Auch nachts sei das Kind deshalb unruhig, schon das Einschlafen sei schwer und ab 4 Uhr sei der Schlaf vorbei. Das Zahnen sei etwas problematisch, erfuhr ich noch, und nach der Impfung (6-fach plus Meningokokken und Pneumokokken – großer Gott!) sei sie 2 Wochen lang krank gewesen.
Das Hautbild sprach natürlich für Sulfur, ebenso die abendliche Verschlechterung, die nach meiner Erfahrung immer ein guter Hinweis auf den Schwefel ist. Unter der Rubrik Schweres Einschlafen finden sich bei Klunker (Synthetisches Repertorium) vor allem die Natrium-Salze, und beim Erwachen um 4 Uhr dominiert wieder Sulfur. So kombinierte ich zu Natrium sulfuricum, wozu auch der Umstand führte, dass dieses Schwefelsalz schon bei Mutter und Großmutter gute Dienste tat. Und schließlich half mir diese Arznei bisher in vielleicht 90 % aller Neurodermitis-Fälle, vor allem bei Kindern. Wie oft mühte ich mich vergebens ab mit dem Schwefel allein bei diesem Leiden, bevor ich zu den kombinierten Arzneien fand!
Nach der ersten Gabe in C200 beruhigte sich die Haut schon etwas, fand das Kind zu einem besseren Schlaf. Bei dem Kontakt nach 3 Woche kam die Rede auf das erschwerte Zahnen, weshalb ich nun Kalium silicicum C200 gab, gemäß meiner Intention, jedem Patienten sowohl ein Natrium- wie auch ein Kalium-Salz zuzuordnen. Nicht nur das Zahnen gab mir dafür die Indikation, sondern auch die heftige Reaktion auf die Impfungen, wozu vor allem Silicea-Menschen neigen.
Nach weiteren 3 Wochen: Zahnen geht gut, Neurodermitis 6 Wochen nach der ersten Gabe Nat-s. C200 vorübergehend wieder aufgeflammt, ein typischer Rückfall bei Ausklingen der Mittelwirkung. Zweite Gabe Natrium sulfuricum C200.
Nach weiteren 5 Wochen: Haut ruhig, aber nun ein Magenreflux! Das ist ungewöhnlich für ein Kind, bei Erwachsenen sehe ich das häufiger, und es liegt hierbei wohl eine Gastroparese vor, also eine Trägheit der Magentätigkeit. Das Hauptmittel – inactivity of stomach laut Murphy – ist Silicea. Hiermit gab uns der Körper einen Hinweis darauf, dass Kalium silicicum zu wiederholen sei, wieder in C200.
4 Wochen also nach der weiteren Gabe Kalium silicicum C200: Die Haut ist rein, nur noch wenige trockene Stellen, nicht juckend, kein Reflux mehr. Heute eine vorerst letzte Gabe von Natrium sulfuricum C50.000K – Wiedervorstellung nach Bedarf!
Das Kind ist wohlauf, aber um die Perversität mancher Kinderärzte zu erwähnen, musste doch zum Ausschluss einer Allergie bei dem nun ein Jahr alten Kind eine venöse Blutentnahme vorgenommen werden sowie eine kleine, harmlose Wucherung an der Wange in Vollnarkose entfernt werden. Das freudige Lächeln, das mir das kleine Mädchen gab, werden die Kollegen vermutlich nicht erfahren.
Es mag Gründe dafür geben, ein Kind schon im Mutterleib gegen Keuchhusten zu impfen; ich finde es dennoch abartig, zumal ich die Pertussis-Impfung als die schädlichste erfahren habe. Sabine, geboren im Juli 2023, sah ich zum ersten Mal im Dezember desselben Jahres im Zuge einer Impfberatung, da nun die nächste Maßnahme anstand. Eine Fünffach-Impfung war vorgesehen durch den Kinderarzt und ich begleitete das Kind mit Thuja C200. 5 Wochen später musste ich aktiver eingreifen, weil das Kind schwer einschlafen würde, und weil die Nase im Liegen verstopft sei. Nose obstructed, lying – laut Murphy vor allem Causticum und Pulsatilla. Wer meine Arbeitsweise kennt, weiß, dass ich Pulsatilla gerne zum Schwefel rechne (und Causticum als Kali-Salz werte); und so half ihr, wie im obigen Falle auch, zunächst Natrium sulfuricum C200.
Nach weiteren 2 Impfungen, immer mit Thuja begleitet, kam im November 2024 ein schweres Problem zur Sprache: das Kind hätte große Probleme mit der Stuhlentleerung. Obwohl der Stuhl weich und voluminös wäre, erfordere es größte Anstrengung, um den Darm zu entleeren, der Kotbrocken rutsche immer wieder zurück. Silicea bot sich an, ist diese Zurückschlüpfen des Stuhls doch eine Keynote dafür. Gegeben als Natrium silicicum C200 brachte es aber keine Erleichterung.
3 Wochen später: Weiterhin schwergängiger Stuhl. Neue Symptome wie durstlos am Tag und reichlich Trinken in der Nacht, in großen Zügen; geht gerne in die Kinderkrippe (mit knapp 1 ½ Jahren); Verlangen nach Früchten und Fruchtsäften. Das klang mir eher wie Phosphor bzw. Acidum phosphoricum und ich wechselte zu Natrium phosphoricum C200.
6 Wochen später: Nach Natrium phosphoricum 3 Tage leichtere Stuhlentleerung, danach mit Macrogol (einem physikalisch wirkenden Laxans) gute Stuhlkontrolle. Durst normalisiert, aber nächtliche Unruhe. Nach einer weiteren Gabe Natrium phosphoricum C200 wieder stärkere Obstipation, trotz Macrogol.
Nun eine neue Information: laut Untersuchung durch einen Kinderkardiologen (warum durchgeführt, weiß ich nicht) liegt eine verlängerte QT-Zeit vor, also eine Verzögerung der elektrischen Repolarisation bzw. Entspannung des Herzmuskels. Dies bedeutet, mit gewissen Medikamenten vorsichtig zu sein, um Herzrhythmusstörungen zu vermeiden. Nun denke ich an eine elektrische Reizleitungsstörung, wie ich sie beim Vater des Kindes kenne. Er hat phasenweise Gesichtsschmerzen nach Art eine Trigeminus-Neuralgie, aber auch motorische Ausfälle wie etwa herabhängende Mundwinkel, darüber hinaus eine zeitweise Taubheit der Fingerspitzen sowie Sodbrennen. Mit Kalium jodatum und Natrium phosphoricum konnte ich ihm sehr erfolgreich helfen, die Rückfälle sind nur mehr sehr selten und schwach und mit bedarfsabhängigen Gabenwiederholungen komplett zu beherrschen. Im Übrigen ziehen sich diese beiden Arzneien schon durch drei Generationen in dieser Familie.
So war mein Schluss, dass bei dem Mädchen, also der 4. Generation, ebenfalls eine Schwäche der Nervenfunktion vorliegen würde und die Innervation des Herzmuskels wie der Darmmuskulatur dadurch beeinträchtigt sein könnte. Ich gab also Kalium jodatum C200 im Februar 2025 mit dem Ergebnis, dass die Darmentleerung entspannter funktionierte, zunächst noch mit Unterstützung durch Macrogol. 3 Wochen später kam wieder Natrium phosphoricum zu Einsatz und Ende März 2025, nach einem kleinen Rezidiv der Obstipation, wieder Kalium jodatum C200. Nun läuft es, der Stuhlgang funktioniert ohne Probleme, das Macrogol wurde schon stark reduziert. Aber besonders interessant ist, dass eine EKG-Kontrolle nun einen unauffälligen Kurvenverlauf aufzeigt; die QT-Zeit ist wieder normal.
Während bei Vermeulen unter Jodum von schneidenden Schmerzen im Darm beim Stuhlgang die Rede ist, so steht unter Kalium jodatum schon deutlicher ein Hinweis auf Obstipation; Stühle spärlich, hart, schwierig. Aber ohne die Familienanamnese wäre ich nicht zu dieser Lösung gekommen. Resümee: Kalium jodatum, ein wichtiges Antisyphilitikum, ist zuständig für Funktionsstörungen der Nerven, der Muskulatur und des Vegetativums.
Während ich das anfangs bei Sabine eingesetzte Natrium sulfuricum im Laufe der Betreuung später erfolgreich durch Natrium phosphoricum ersetzen musste, bewährte es sich nachhaltig bei ihrem fast gleichaltrigen Cousin Ludwig, ebenfalls allerdings begleitet von Kalium jodatum. Atemwegsinfekte und eine Diarrhoe-Neigung konnten mit dieser Kombination gut beherrscht werden, mit dem Kali-Salz als erstes Mittel im Alter von 5 Monaten war ein inspiratorischer Stridor rasch bereinigt. Eine besondere Maßnahme wurde jedoch erforderlich, weil Ludwig nachts sehr unruhig war, sehr der Nähe bedurfte, oft an die Brust wollte und überhaupt viel getragen werden mochte. Dieses Verhalten werte ich gerne als Furcht vor dem Verlassenwerden. Fear of beeing abandonned: Carcinosinum und Pulsatilla, laut Murphy. Der Junge hatte allerdings ein Geburtstrauma erlitten, die Nabelschnur war um den Hals geschlungen, die Herztöne fielen stark ab, der Apgar-Status war 4-8-9. Und Krebsfälle gab es auch bei Groß- und Urgroßeltern. Mit Carcinosinum in C200 und später in LMK konnte wiederholt die nächtliche Unruhe bereinigt werden.
Eine nächtliche Unruhe plagte auch Leopold, nun knapp ein Jahr alt. Er mussten von Anfang an viel getragen werden und konnte keine Ablösung oder Trennung von der Mutter annehmen. Er weinte auch viel, war sehr sensibel, hatte nach der Geburt eine Gelbsucht, ferner einen gelben Kopfgrind. Natrium sulfuricum war natürlich mein erster Gedanke, änderte aber nichts an der Ruhelosigkeit in der Nacht – er brauchte innigen Hautkontakt. Bald aber fand ich zu der Ergänzung mit einem Kali-Salz, nämlich zu Kalium arsenicosum. Unterstützt mit Carcinosinum, gerechtfertigt aus der schmerzlichen Biografie der Mutter, war damit eine stetige Stabilisierung zu erreichen. Nach einem halben Jahre der Behandlung kann er sich nachts von der Mutter lösen, schläft entspannt und robbt tagsüber auch mal in ein anderes Zimmer, wo zuvor an eine räumliche Trennung überhaupt nicht zu denken war.
Noch ein Kleiner: Jetzt 1 ½ Jahre alt, wurde mir Tom vor 4 Monaten gebracht, weil er so häufige Atemwegsinfektionen habe. Nach meinem ersten Einstieg in seinen Fall mit Kalium bichromicum und Natrium phosphoricum, stellte ich vor 2 Monaten fest, dass hinter seinem Husten eine veritable Bronchialobstuktion stand. Nun wechselte ich zu Natrium sulfuricum C200, was die Atemgeräusche vollkommen bereinigte (Nummer 1 bei kindlichem Asthma). Weil aber ein trockener Reizhusten noch blieb, legte ich nach 3 Wochen Kalium phosphoricum nach. Auch das half prompt und ich bin sicher, in seiner Sache auf dem richtigen Weg zu sein. Die Mittelwahl bei kleinen Kindern ist nicht einfach, aber die Beobachtung langer Wimpern, seine Freude am Besuch der Kinderkrippe sowie das Wissen um die mütterliche Konstitution halfen mir bei der Entscheidung – hier auch schon in der 3. Generation.
Was ich mit diesen Fallschilderungen zum Ausdruck bringen möchte, ist, dass Ansätze zu schweren Pathologien wie etwa Asthma oder gewisse Persönlichkeitsstörungen wie grundlegende Ängste durch eine homöopathische Korrektur frühzeitig getilgt werden können, und dass mir diese Erfolge erst gegönnt wurden mit diesen salzartigen, vermutlich lebenslang gültigen Kombinationen, wo die Standard-Homöopathie in diesem Alter doch eher bei Calcium carbonicum oder phosphoricum verweilt.
Und so gäbe es noch und noch zu erzählen, weshalb mir die Arbeit mit den Kindern mittlerweile viel Freude bereitet.
Bamberg, im Juni 2025