Dr. Ernst Trebin

Allgemeinmedizin - Homöopathie

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Die Kopflastigkeit der Kali-Salze

Bestimmt 20 Jahre lang befasse ich mich schon gründlich mit den Kali-Salzen. Gewiss hat man deren Arzneimittelbilder erlernt ebenso wie die aller weiteren Arzneien unserer Materia medica auch, aber es ist etwas anderes, diese Mittel zu verstehen, ihren Geist zu erfassen. Denn die beste Verschreibung erfolgt nicht nach der Gesamtheit der Symptome, worauf sich etwa die Computer-Auswertung stützt, sondern nach den Keynotes und nach ihrer Essenz. Zwar können auch spezielle Einzelsymptome im Sinne des § 153 Org. VI ausschlaggebend sein, aber hierzu zitiere ich gerne JC Burnett [1]:

„Wenn die Homöopathie einmal ihre Säuglingswindeln ablegt, dann werden die subjektiven Symptome für die Homöopathie das sein, was das Buchstabieren für das Lesen ist.“

Roger Morrison beschreibt das Wesen von Kalium carbonicum, dem Stammsalz der Kalis, sehr prägnant und treffend in seinem Handbuch der homöopathischen Leitsymptome und Bestätigungssymptome [3]:

„Kalium carbonicum gehört zu den grundlegenden und besonders umfassend und tief wirkenden Arzneimitteln unserer Materia medica. Es ist eines unserer wichtigsten Mittel bei der Behandlung von Arthritis, Katarrh der Atemwege, Asthma, peptischem Ulkus und sogar malignem Geschehen.“

Und weiter: „Der Kalium carbonicum-Patient läßt sich allgemein als zwanghaft beschreiben, er hält sich rigide an Paragraphen, Vorschriften und Regeln. Das Ausdrücken von Gefühlen fällt ihm ausgesprochen schwer, und er hält seine Emotionen streng unter Kontrolle. Pflichtbewusstsein steht bei Kalium carbonicum als Konstitutionstyp an oberster Stelle. Solche Menschen würden niemals in einem Halteverbot parken und erstatten versehentlich zu viel gezahltes Wechselgeld immer gewissenhaft zurück. Die Welt ist in seinen Augen schwarz-weiß. Es sind häufig stoische Patienten. Sie klagen nicht über ihre Situation, bis die Belastung ein wirklich unerträgliches Maß erreicht. Alles, was außerhalb ihrer Kontrolle liegt, kann ausgesprochen beunruhigend sein. In diesem Zusammenhang können Frucht vor Dunkelheit (dem Unsichtbaren), vor Gespenstern (dem Unfassbaren, Körperlosen) und vor der Zukunft auftreten – vor allem aber die Furcht vor Krankheit und insbesondere vor einer drohenden Erkrankung. Die Angst wird oft somatisch, vor allem im Solarplexusbereich, empfunden. Es ist beachtenswert, dass sich die Pathologie bei Kalium carbonicum nicht zu Depressionen, Verwirrung oder anderen tiefgreifenden Gemütserkrankungen hin entwickelt. Sie bleibt vor allem auf den physischen Körper begrenzt.“

Einige Besonderheiten und strukturelle Eigenschaften möchte ich nachtragen aufgrund meiner eigenen Beobachtungen, die so in den Lehrbüchern nicht oder nur andeutungsweise zu finden sind. Das erste ist der dem Kalium-Wesen eigene erhöhte Muskeltonus. Während Morrison die Arthritis erwähnt, möchte ich eher von der Neigung zur Arthrose-Bildung sprechen, also der nicht primär entzündlichen Form von Gelenksschmerzen und -Deformierungen. Hierzu zählen auch die Sehnenansatz-Beschwerden wie Tennisellenbogen, der Schnappfinger und der Morbus Dupuytren, aber auch die Bildung von Ganglien oder der Bakerzyste in der Kniekehle. Es ist die grundlegend erhöhte Muskelspannung, die diesen Strukturen zu schaffen macht.

Julius Mezger (1891-1976), ehedem Oberarzt im Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, führt in seiner Gesichteten Arzneimittellehre im Kapitel über Kalium carbonicum die Formel eines gewissen György an, aus der hervorgeht, dass der Tonus der Muskulatur umso größer ist, je höher der Kaliumspiegel im Serum ist [2]:

Formel

Damit bestätigt sich meine These, wonach potenzierte Kalium-Salze diesem Trend entgegenwirken, also den Skelettmuskel entspannen. Und die Schulmedizin kennt die Anwendung von Medikamenten bei schmerzhaften muskulären Spannungszuständen wie Flupirtin (Katadolon®), welches als zelleinwärts gerichteter Kaliumkanal-Öffner funktioniert. Und tatsächlich habe ich mit den Kalium-Salzen eine ganze Reihe von schmerzhaften Arthropathien und Tendinosen bereinigen können.

Eine weitere Beobachtung, die ich mit dieser Arbeit formulieren möchte, ist der hohe Energiestau im Oberkörper, also dem Nacken und dem Thoraxraum, der dem Kaliumcharakter zu eigen ist und mit der Anwendung seiner potenzierten Salze entschärft werden kann; das Gegenteil also eines gut geerdeten Menschen, dessen Zwerchfell schön entspannt ist. Auf diese Region konzentriert sich ja auch jede Meditation mit Atemübungen, um einen Menschen in seine Balance zu bringen.

Der von einer angespannten Pathologie belastete Organismus zieht alle Energie nach oben. Und so sehen wir nicht nur Myogelosen im Nacken mit Ausstrahlung in den Kopf, mit Zähneknirschen, mit Spannungskopfschmerzen, sogar mit Belastungen der Augen auf dem Weg eines Zusammenpressens der Lider [6], sondern auch die ganzen Irritationen des Hals- Chakras mit Beeinträchtigung der Kehle und der Schilddrüse. Sogar die Neigung zu chronischen Sinusitiden scheint sich zu bessern, wenn Menschen sich als Chorsänger engagieren, auf diesem Weg ihr Zwerchfell lockern und die Energie nach unten leiten.

Sehr häufig begegnet mir eine Thorax-Kompression durch die dorsale und interkostale Skelettmuskulatur mit Oppressionssensationen, die dem Arzneimittelbild von Ignatia ähneln, nämlich dem Gefühl eines Brettes auf der Brust. Diese Tonuserhöhung, gleich in welcher Körperregion, baut sich vor allem in der Nacht auf, wenn wir unsere Angespanntheit über längere Strecken nicht wie durch die Aktivitäten des Tages lösen. Und so erwachen viele Menschen am Morgen mit steifen Gelenken, die erstmal gelockert werden wollen. Hier sind unterbewusste Kräfte am Werk, die uns nachts arbeiten lassen, wobei bei entsprechender Schwere der psychischen Altlasten diese gar nicht ins Halbbewusstsein der Träume vordringen müssen – oft erst nach einiger Zeit unserer Therapie werden die seelischen Wunden auf diesem Weg wahrgenommen oder gelangen vollends in das Bewusstsein.

Das Wort Albtraum leitet sich vom Alb ab, der ursprünglichen Bezeichnung für Elfen. In der germanischen Mythologie führte man die schlechten Träume auf diese tückischen, koboldhaften Naturgeister zurück. Insbesondere stellte man sich bildlich die Alben meist in menschenähnlicher Gestalt auf der Brust des Schlafenden hockend vor, was ein unangenehmes Druckgefühl auslöste; daher auch die ältere Bezeichnung Albdruck (Quelle: Wikipedia).

Die Schlafapnoe gehört hierher, die mir immer einen Hinweis auf Kalium carbonicum oder eines seiner Salze liefert. Ich kenne sogar Panik-Patienten, denen am Tage der Atem stockt und die ganz bewusst und willkürlich weiteratmen müssen, andernfalls sie ersticken würden. Auch das Verlangen, tief einzuatmen lässt mich vermuten, dass die Atemexkursionen bei diesen Patienten im Normalfall zu flach und eingeschränkt sind, zwischendurch also kompensiert werden müssen. Und auch die Aussage, man könne nicht wirklich tief einatmen, weil irgendetwas blockiert, rechne ich zu diesem Beschwerdekomplex. Ich gehe soweit in meinen Mutmaßungen, dass vielleicht sogar der plötzliche Kindstod im Säuglingsalter auf diesem Weg eine Erklärung finden könnte. Denn auch hier vermutet man ein Versagen des Atemzentrums, also ein Aussetzen der Atmung mit der Folge des Erstickens.

Typisch für Kali-Salze bei Atemnot scheint mir der inspiratorische Stridor zu sein im Gegensatz zur exspiratorischen Atembehinderung, wie sie mir die Natrium-Salze charakterisiert, allen voran Natrium sulfuricum, meinem Hauptmittel bei allergischem Asthma oder dem Asthma in der Kindheit. Also: Natrium gibt nichts her; das entspricht seiner Neigung zu stillem Kummer, und Kalium weigert sich, etwa aufzunehmen, nämlich den Atem als Quelle des Lebens. Es ist wie eine Umklammerung.

Damit kommen wir zum Kern der Kalium-Salze - drastisch ausgedrückt - als Verweigerer des Lebens und der eigenen Existenzberechtigung. Kali bedeutet im homöopathischen Sinne Kontrolle und repräsentiert die uns allen eigene Sozialisation. All unsere genuine Spontanität und Lebenslust werden unvermeidlich mehr oder weniger ausgeprägten Einschränkungen unterworfen, sonst könnten wir uns in keine Gemeinschaft einfügen. So werden wir genötigt, im positiven Sinne Kontrolle über unsere Emotionen zu erlernen, wofür mir der Ausdruck Erziehungstrauma zufiel. Mehr betroffen ist aber derjenige, der durch biografische Leidenserfahrungen eingeübt hat, in ständiger Angst zu leben: Schocktrauma passt hierfür gut.

Das Frontalhirn übernimmt die Kontrolle über unsere spontanen Empfindungen und dirigiert sie in sozialverträgliche Verhaltensweisen. Je mehr die Spontaneität eines Menschen gebremst ist, umso mehr Energie braucht dieses Organ und umso mehr verspannt sich die Person. Und eben diese Energie hängt sich vor allem im Kopf- und Oberkörperbereich fest; man zieht den Kopf ein aus Furcht vor Strafe, Zurechtweisung, Ablehnung oder Versagensangst. Die betont rational (und unterordnungsbereit) agierenden Menschen haben auch ein passendes Erscheinungsbild, das durch eine hohe Stirn und schwere Augenlieder gekennzeichnet sein kann, typischerweise sogar mit den klassischen Wassersäckchen der Oberlider [8].

Dieses Hochziehen der Energie zeigt sich meiner Beobachtung nach auch andernorts in der Silhouette eines Menschen: so ist der Thorax oft hochgewölbt, finden sich Schmerzen am Rippenbogen (vermutlich, weil hier das Zwerchfell ansetzt) und sieht man oft eine ausgeprägte ventrale Fetteinlagerung des Oberbauches – wohingegen der Natrium-betonte Charakter sein Fett-Depot eher an Po und Oberschenkeln bildet. Das Oberbauchfett kann wie eine Ramme oder eben wie ein Schutzpanzer erscheinen. Längere Behandlungen mit Kaliumsalzen haben mich schon öfter eine Reduzierung dieses Oberbauchstaus erreichen lassen und somit eine Abflachung des Epigastriums.

Mit der Ableitung der Sinusitiden aus dem Energiestau im Kopfbereich haben wir schon die Aussage von Morrison bestätigt über die Katarrhbildung ebenso wie wir seinen Hinweis auf Gelenksbeschwerden aus dem erhöhten Muskeltonus begründen können; auch für das peptische Ulcus, das er erwähnt, gibt es eine Erklärung aus dieser ungesunden Energieverteilung. Der Mageninhalt wird nicht weitergeleitet, auch hier staut es sich, spricht man von einer Motilitätsstörung. Dies veranlasst reflektorisch zu einer gesteigerten Säurebildung mit schließlich der Folge des Duodenalgeschwüres.

Dieses Modell des blockierten Energieflusses fügt sich gut in die Denkweise der fernöstlichen Medizinvorstellungen, vor allem der Chakrenlehre, und begründet die Heilungsaussichten der Akupunktur, deren Ziel es ist, diesen Stau aufzulösen und die Energie, das Chi, wieder frei fließen zu lassen. Wobei mir die Homöopathie noch lieber ist, denn sie erreicht noch mehr die Quelle des Übels, wo die Akupunktur eher nur deren Auswirkungen beseitigt.

Es ist das karzinogene Miasma, das nach meiner Theorie und umfangreichen praktischen Erfahrung hier zugange ist, dessen mineralisches Äquivalent für mich die Kaliumsalze sind – und hier sind wir erneut bei Morrison, der auch vom malignen Geschehen spricht als Zuständigkeitsbereich dieser Arzneien. Allerdings dürften wirkliche Krebserkrankungen nur etwa 10% dieses Miasmas ausmachen, der Rest sind die somatoformen Auswirkungen der gestörten Lebensenergie, inklusive aller Autoimmunerkrankungen.

Kontrolle ist ein Kernbegriff im Charakter der Kalis, eine nicht unerhebliche Grundangst aber auch davor, diese zu verlieren. Gebremste Emotionen und mangelnde Sinnlichkeit passen ja auch in diese Bild, denn gerade die Liebe, die Erotik sind Gefühlsbereiche, deren Unberechenbarkeit beunruhigen und verunsichern können. Negative Erfahrungen werden nicht wie bei Natrium muriaticum gepflegt und konserviert, sondern eher verdrängt, schieben sich aber im Schlaf wieder nach oben, weshalb dieser unterbrochen wird, wie Sigmund Freud schon erklärt hat. Wenn man die Arzneimittelbilder und Repertorien studiert, findet man bei den Einschlafstörungen vor allem die Natrium-Salze (schweres Loslassen), bei den Durchschlafstörungen aber die Kalis, deren Kernzeit von 2 bis 4 Uhr liegt.

Noch zwei wesentliche Elemente aus dem Geist der Kali-Salze gilt es hier anzuführen. Das eine ist das häufig erwähnte Brustspannen der Frauen, vor allem vor der Regelblutung. Die weibliche Brust versinnbildlicht die Fürsorge, und Störungen ihrer Funktion verweisen auf eine Dysbalance im Umfang von Verantwortung und Zuständigkeit, Bereiche, in den sich die Kalis auf der Basis des karzinogenen Miasmas besonders hervortun.

Lac caninum ordne ich übrigens den Kalium-Salzen zu als deren mineralisches Äquivalent, weil das Wesen des Hundes eben diese hohe Loyalität und Opferbereitschaft aufweist, wie sie für Kali-c. und seine Salze typisch sind.

Das zweite und sehr wichtige Element ist die Belastung des Herzens. Wassereinlagerungen, vor allem als Beinödeme, konnte ich schon mehrfach mit Kali-Salzen bereinigen. Ich glaube, die oben beschriebene Tonuserhöhung der Muskulatur betrifft auch den Herzmuskel.

Pathophysiologisch scheint mir hier eine enddiastolische Relaxationsstörung vorzuliegen, die eine Minderung der Ejektionsfraktion bedingt, somit zu einem Rückstau in die Vorhöfe führt, hierdurch etwa die Mitralklappe dilatieren und insuffizient werden lässt. Die Folge davon ist wiederum Vorhofflimmern und eine absolute Arrhythmie. Vor allem Kalium jodatum hat mir vielfach geholfen, den Sinusrhythmus wiederherzustellen; ich glaube aber, dass auch andere Kali-Salze, wenn passend gewählt, dies erreichen können. Dass Kalium chloratum das Mittel ist, das als Infusion aktive Sterbehilfe ermöglicht, bestätigt meine Darlegung.

Meine Arbeit hat mich zu der These geführt, dass wir alle sowohl eine Kalium-, wie auch ein Natrium-Salz brauchen zur Bereinigung unserer Krankheitsdispositionen [7], und ich arbeite gut mit diesem dualen Therapieweg. In der Tabelle findet der Leser eine Kurzcharakteristik der aus meiner Sicht wichtigsten Kali-Salze. Und schließlich darf noch ein Fallbeispiel vorgestellt werden:

Spezifika der nützlichsten Kalium-Salze

Kalium arsenicosum: Neigung zu Panik; Mitternacht bis 3.00 Uhr; Magen-Darm- Erkrankungen; Sepsis-Gefahr; Thrombose-Gefahr; Ängste und andere Persönlichkeitsmerkmale von Arsen (intakte Fassade, Sammelwut, Geiz). Siehe Aufsatz: Kents Nachlass [4].

Kalium bichromicum: Rheumatische Beschwerden mit punktuellen Schmerzen; zähes, fadenziehendes Nasen- und Bronchialsekret; 2 Uhr; Ulcera wie ausgestanzt; zähe Patienten bzw. Fälle?

Kalium jodatum: Ausstrahlende, neuralgische Schmerzen (Ischialgie); Herzrhythmusstörungen, z.B. absolute Tachyarrhythmie („tumultuöse Herzaktion“); rascher Stoffwechsel mit Gewichtsabnahme; Drüsentumore (Schilddrüse, Brust, Hoden, Prostata, Lymphknoten) und Drüsenatrophie; scharfer Fließschnupfen; destruktive Impulse; 5.00 Uhr. Husten >im Freien, Husten >durch Trinken. Siehe Aufsatz: Polymorbidität nach einer Grippeimpfung.

Kalium phosphoricum: Erschöpfung; Mutlosigkeit; Ängste von Phosphor; Blutungsneigung. Siehe Aufsatz: Zurück ins Leben mit Kalium phosphoricum [5].

Kalium silicicum: Auffälligkeiten des Stützgewebes (Knochen, Zähne, Nägel), also Skoliose, Glockenthorax, Kielbrust; Nagelflecke und andere Störungen des Nagelwachstums; Karies und Zahnwurzelentzündungen. Furunkulose. Psychische Struktur von Silicea. Siehe Aufsatz: Kents Nachlass [4].

Kalium sulfuricum: „Chronische, reizbare Pulsatilla“; wandernde Krankheitserscheinungen (Schmerzen, Exantheme), langsames Umhergehen bessert; frische Luft bessert; Brustschwellung vor der Menstruation; weinerlich; 4.00 Uhr. Schuppende Hautausschläge.

Nicht gebraucht: Kalium chloratum, Kalium muriaticum, Kalium nitricum. 1⁄2

Die erwähnten Aufsätze wurden in der AHZ veröffentlicht und finden sich auch unter www.ernst-trebin.de.


Fallbeispiel:

Ein heute 65-jähriger Unternehmer kam vor 31⁄2 Jahren in meine Behandlung. Er litt an einer koronaren Herzerkrankung und hatte schon mit 54 Jahren nach einem Herzinfarkt 4 Stents eingesetzt bekommen. Auch später empfand er immer wieder ein Stechen der rechten (!) Brustseite und ein Oppressionsgefühl im Thoraxbereich, spontan und nicht belastungsabhängig. Die weitere Vorgeschichte wies eine Pyelonephritis auf, zeigte noch eine Psoriasis am linken Ellenbogen, eine Obstipationsneigung auf Reisen sowie Einschlafprobleme. Sein Vater hatte auch einen Herzinfarkt und erlag später einem plötzlichen Herztod.

Ohne auf alle Details einzugehen will ich hier nur den Verlauf der Behandlung schildern mitsamt den Komplikationen, die bei den regelmäßig angesetzten Konsultationen zur Sprache kamen. Ich begann die Behandlung mit Kalium sulfuricum C200, was zunächst an dem mir besonders wichtigen Thoraxdruck nichts änderte. Die zweite Gabe noch 3 Wochen war Narium phosphoricum C200, das ich ihm als die zweite Linie in meiner Therapie zugedacht hatte. Nur vorübergehend kamen die Missempfindungen zur Ruhe. Da als Auslöser immer wieder beruflicher Ärger und finanzielle Verluste angeführt wurden, erhielt er auch mal Ignatia C200.

So ging es ein Jahr lang; Enge der Brust, Obstipationsneigung, Einschlafstörungen ließen sich lange bitten, kamen aber doch allmählich zur Ruhe, ebenso wie die später hinzutretenden nächtlichen Wadenkrämpfe (Sulfur!). Im September 2020, 2 Jahre nach Therapiebeginn, erlitt er wieder einen Myocard-Infarkt, offenbar einen leichten NSTEMI (Non ST-elevating myoardial infarction). In der Koronarangiografie fand man eine 75%ige Einengung an einer Bifurkation, die sich für einen Stent nicht eignete, sondern eine erneute Bypass-Operation erforderlich machte.

Die Symptomatik des Infarktes war ein starker Schmerz an der Schilddrüse mit Ausstrahlung in beide Arme. Vorausgegangen sei eine große Enttäuschung über seine Exfrau. Das Ereignis fand nachts kurz vor 3 Uhr statt, am nächsten Morgen fühlte er sich wieder gut, der Schilddrüsenschmerz blieb allerdings bestehen.

Aufgrund dieses bedauerlichen Ereignisses – aber akute Krisen bringen oft einen wichtigen Erkenntnisgewinn in unsere Arbeit – bekam ich mehr Klarheit in diesem Fall. Schmerzen in der Schilddrüsenregion, aber auch fortgeleitete, ausstrahlende, neuralgische Schmerzen sind eine große Indikation für Jodum, das ich seit einiger Zeit nur mehr als Kalium jodatum einsetze. Auch emotionale Enttäuschungen sind eine Indikation für Jodum.

Nun hatte ich einen Anlass, meine Mittelwahl nachzubessern: mit Kalium jodatum konnte die ganze Thoraxsymptomatik bereinigt werden (in C200 4 mal gegeben, in LMK 3 mal). Die zweite Linie in meinem dualen System fahre ich seither in seinem Falle mit Natrium sulfuricum, womit seine Hauterscheinungen, aber auch seine Wadenkrämpfe befriedet werden konnten (in C200 2 mal, in LMK 2 mal).

Besonders wichtig sind mir in Fällen von koronarer Herzerkrankung beim Patienten oder in seiner Familie inklusive plötzlichem Herztod naher Verwandter nicht zu seltene Gaben von Medorrhinum, welches als Nosode hinter Nat-s. steht. Damit habe ich, wie mir scheint, sehr viel erreicht, um nicht nur ihn (1 mal in C200, 1 mal in LMK), sondern auch eine Reihe weiterer Patienten zu stabilisieren und vor Rezidiven zu bewahren.

Die Kombination von muskulärer Thorax-Oppression und koronarer Herzerkrankung ist nicht selten und kann differentialdiagnostische Probleme bereiten, die beschriebenen Betrachtungen sind aber hilfreich bei der Verlaufsbeobachtung.


Ausblick:

Was ich mit dieser Arbeit auch darlegen möchte: Homöopathie ist eine echt rationale Heilkunst und die Einbeziehung physiologischer Grundlagen ist mir lieber als eine schwärmerische, sich auf die Signaturenlehre beziehende Arzneimittelwahl. Nicht dass ich die naturwissenschaftlich-kritische Richtung wieder aufleben lassen möchte, diesen vergeblichen Versuch der Homöopathen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, von der Schulmedizin anerkannt zu werden, aber die hier aufgeführte Arbeitsstruktur und die damit erreichten Erfolge hätten vielleicht eine Chance, die Methode aus ihrer gegenwärtigen Verbannung ins Esoterische wieder herauszuholen.

Dazu müssten aber zwei Paradigmen der Homöopathie Anerkennung finden: Erstens das Simileprinzip, zweitens der Begriff der Lebenskraft und damit auch die Vorstellung, dass das Leben vor allem mit Energie zu tun hat und dass diese Energie qua Information über diese chemisch-analytisch inhaltslosen Milchzuckerkügelchen beeinflusst werden kann. Diese Hoffnung ist natürlich Utopie, solange das vorherrschende wissenschaftliche Denken wesentliche Elemente des Lebens ausblendet.

Aber auch die Miasmenlehre, liebe Kollegen, ist außergewöhnlich rational und logisch [9]!

Literatur:

[1] Burnett JC: Die Heilbarkeit von Tumoren durch Arzneimittel. München: Müller & Steinicke; 1991.
[2] Mezger J.: Gesichtete Homöopathische Arzneimittellehre. Heidelberg: Haug-Verlag; 1995
[3] Morrison R.: Handbuch der homöopathischen Leitsymptome und Bestätigungssymptome. Groß-Wittensee: Kai Kröger Verlag; 1995.
[4] Trebin E.: Kents Nachlass. AHZ 2/2016; 261: 33 – 38.
[5] Trebin E.: Zurück ins Leben mit Kalium phosphoricum. AHZ 1/2018; 263: 30 – 33.
[6] Trebin E.: Kalium jodatum – Wertigkeit in der Behandlung degenerativer Korneaerkrankungen. AHZ 3/2022; 267: 32 – 35.
[7] Trebin E.: Kann dieser Weg noch richtig sein? Spekulationen über die Arbeit mit kombinierten Arzneien.
[8] Voegeli A.: Das Asthma und seine Behandlung. Ulm/Donau: Haug-Verlag; 1965. S. 35 [9] Wisshom Klare Begriffsdefinitionen. AHZ 2/2022; 267: 39 – 40.

Zusammenfassung:

Ergänzend zu den bekannten Eigenschaften von Kalium carbonicum und seinen Salzen trägt der Autor seine Beobachtungen nach, etwa den erhöhten Muskeltonus als Verursacher von Gelenks- und Sehnenerkrankungen; ferner den Energiestau im Bereich von Kopf, Nacken, Thorax und Oberbauch; schließlich auch die Herzinsuffizienz als Folge einer Relaxationsstörung des Herzmuskels.

Stichworte:

Kalium carbonicum, Muskeltonus, Arthrosen und Sehnenerkrankungen, Herzinsuffizienz, koronare Herzerkrankung.

Bamberg, im Mai 2022

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